Schifffahrt | Shipping © Meyer Auf dem Yara-Gelände wird noch gebaut. Unten rechts im Bild sieht man den künftigen Liegeplatz der »Yara Birkeland« – noch überwiegt viel Schutt logiechef will dazu wegen des laufenden Verfahrens nichts sagen, lässt sich aber zu einem Kommentar bewegen: »Es würde perfekt passen. Rolls-Royce hat Expertise für Steuerungszentren, wir für Bordsysteme.« Tatsächlich hat der bisherige Wettbewerber schon einige Erfahrung gesammelt, etwa beim vielbeachteten Projekt eines ferngesteuerten Schleppers der Reederei Svitzer (HANSA 01/2018). Ob der gesamte Technikkomplex reibungslos funktionieren werde? »Woher sollen wir das wissen?«, so Paulsens Gegenfrage, die er sogleich selbst beantwortet: »Es sind viele Szenarien denkbar. Also müssen wir im Vorfeld ausgiebig simulieren und testen.« Daran arbeite man mit Forschungseinrichtungen und Behörden, die sehr unterstützend und zugänglich seien. Die Sicherheitsproblematik ist ein weiterer Grund dafür, dass der autonome Betrieb nicht umgehend gestartet werden kann: die nötigen Genehmigungen für die technologischen Neuerungen fehlen. Dafür wiederum mangelt es an einer rechtlichen Grundlage. Alle existierenden Schifffahrtsregularien beziehen sich auf den bemannten Betrieb. Angesichts der langwierigen Entscheidungsprozesse in der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) ist mit globalen Regeln nicht zeitnah zu rechnen. Also wollen die Norweger mit einer eigenen Rechtsgrundlage vorpreschen. Da die »Yara Birkeland« nur in nationalen Gewässern fahren soll, ist dies unproblematisch. Nötig sind Neufassungen von Lotsen- sowie Hafen- und Wasserwegegesetz. In den Augen von Svein Medhaug, Projektleiter bei der Norwegian Maritime Authority (NMA) ist die entscheidende Frage, ob ein neues System das gleiche Maß an Sicherheit gewährleistet wie bekannte Instrumente. Auch der NMA- Vertreter betont die Zusammenarbeit von Abstract: Autonomous »Tesla of the Fjords« inspires despite open questions The world’s first fully electric and autonomous ship is eagerly awaited. Construction of the Norwegian container feeder »Yara Birkeland« is in progress, but there are still a few challenges and open questions. It’s about regulations, technologies and the timetable. Solutions for onboard systems, port and handling equipment and land-based monitoring systems need to be integrated – of course with an eye on cyber security and safety. A closer look on site reveals the relative »size« of the project. Those in charge in Norway are optimistic, also thanks to massive government support. HANSA went to the southern fjords and talked to the relevant people. Further information: redaktion@hansa-online.de Behörden, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Klassifikationen. »Alle müssen noch etwas tun, aber jetzt ist erst einmal die Regulierung an der Reihe«, meint er. Von der informellen sei man nun in die formale Phase eingetreten. Unklar ist noch, wer die letztendliche Verantwortung bei Problemen oder Havarien trägt, also haftbar ist. Einige Beobachter würden sie am ehesten beim Technologie-Hersteller verorten. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass es der Betreiber des Schiffes ist, der die Verantwortung trägt. Auch Medhaug sieht das so. Sicherheitsexperte Trond Langemyr von der norwegischen Küstenverwaltung kündigt eine tiefgehende Analyse des Konzepts für 2019 an. Denn ohne Besatzung und deren Bord-Einrichtungen wird auch eine Aufrechterhaltung des Lotsendienstes schwer. »Aber wie bekommen wir das Lotsen-Knowhow? Wir müssen dafür Sorge tragen, dass alle Seekarten und Informationen im System – entweder an Bord oder im Kontrollzentrum an Land – integriert sind, dann könnten wir auf eine Lotsenpflicht verzichten.« Falls es dennoch zu Problemen komme, gebe es eine neue Option: Über ein Sicherheitssystem steuert das Schiff automatisch zu einem von mehreren auf der Route festgelegten Punkten und wirft dort Anker. »So etwas gibt es neuerdings, aber die Genehmigung steht noch aus«, berichtet Langemyr. Zu der breit angelegten Kooperation gehört auch die norwegisch-deutsche Klas- 40 HANSA International Maritime Journal – 155. Jahrgang – 2018 – Nr. 12
Schifffahrt | Shipping sifikationsgesellschaft DNV GL. Dort setzt man auf eine komplett neue Regulierung: »Ein Basteln an existierenden Codes ist nicht zielführend«, sagt Forschungsdirektor Bjørn Johan Vartdal. Entscheidend ist für ihn die sogenannte Lageerkennung durch das System (»situational awareness«). Heute kann man in Norwegen noch keine autonomen Schiffe betreiben. Nötig sei ein stabiles Kommunikationsnetz für den immensen Datentransfer. Wobei, so betont Vartdal, damit lediglich das Fundament geschaffen wäre, ein Mangel bleibe: »Das Senden und Empfangen der Daten ist die kleinere Herausforderung. Das Problem ist der Algorithmus. Er muss verstehen, was er mittels der Sensoren sieht. Die Kombination von Software und Sensor muss verbessert werden«, moniert er. Das Projekt ist kein Selbstzweck, ebenso wenig wie die Attraktivität der Küstenlandschaft. Von Schönheit allein wollen die Norweger nicht leben. Die Wasserkraft von der Küste sorgt beispielsweise für 80% der nationalen Stromproduktion. »Die Entwicklung autonomer Autos findet woanders statt. Aber bei autonomen Schiffen gibt es den größten Fortschritt in Norwegen. Wir wollen Vorreiter sein«, sagt Brage Baklien, Staatssekretär im Transportministerium und Mitglied der Fortschrittspartei, nicht ohne eine gute Portion politischen Selbstbewusstseins. Autonomie ist Mittel, nicht Ziel Ungeachtet einiger offener Detailfragen denkt man im Cluster schon weiter – und größer. Lässt sich »Yara Birkeland« erfolgreich etablieren, sei es nämlich ein echter Business Case, und somit eine Exportmöglichkeit. Die autonome Schifffahrt ist nicht das Ziel, sondern aus ökonomischer Sicht das Mittel. Ganz nebenbei könnte man auch in der internationalen Schifffahrtspolitik eine größere Rolle spielen, sozusagen als Rechts-Exporteur, wenn EU und IMO auf die Basisarbeit der Skandinavier zurückgreifen. Die technische Integration und die Regulierung sind die Hauptgründe dafür, dass Yara, Kongsberg und Co. ihren ursprünglichen Zeitplan reißen. Bis man ein autonomes Schiff durch den malerischen Frierfjord fahren sehen kann, wird einige Zeit ins Land gehen. Noch fällt der Blick lediglich auf einen großen Industriekomplex und viel Schutt. Vom Dach der Yara-Fabrik lässt sich aber erahnen, in welchen Dimensionen hier gedacht wird. n Norwegen mit Verve: Der politische Blick aus Oslo Ortswechsel: Einige Kilometer nördlich vom Hortenfjord und von Porsgrunn sitzt Brage Baklien im Transport- und Kommunikationsministerium in Oslo. Im Zentrum des Regierungsviertels ist der Blick des Staatssekretärs auf das ehemalige Bürogebäude des norwegischen Ministerpräsidenten gerichtet. Verschiedene Teile des Regierungsapparats arbeiten an neuen Regelungen für die »Yara Birkeland«, seine Behörde etwa an der Lotsenpflicht. Andere Aspekte für Schiff und Crew seien nicht im Geschäftsbereich seines Dienstherrn, sondern in anderen Ministerien angesiedelt, bestätigt der Politiker von der Fortschrittspartei. Gerade die Frage der Verantwortung ist sehr komplex. Da es aus Sicht von Baklien keiner neuen Regulierung für die Kommunikationssysteme bedarf, konzentriert er sich auf Sicherheits- und Haftungsfragen mit Bezug zur Lotsenfrage. »Es wird keine größeren Probleme geben«, ist er sich sicher. Ähnliches gilt in der Frage der Cyber-Sicherheit. Im Fall der »Yara Birkeland« geht es immerhin um absolute Hochtechnologie. Die Bedrohung ist nicht erst seit der Attacke auf die australische Austal-Gruppe im Herbst auch für Schiffbauer und Zulieferer sehr real. Vor allem dann, wenn die Opfer wie Austal und Kongsberg auch im militärischen Markt aktiv sind und sensible Daten verwalten. Baklien verweist aber gerade auf diesen Aspekt als Grund für seine Zuversicht: »Kongsberg ist ein Konzern im Militärmarkt, die können das abwehren.« »Wir unterliegen den gleichen Regeln wie der Rest Europas, wir sind lediglich aktiver.« Von der Entwicklung selbst ist der Staatssekretär überzeugt. Die Regierung führt die autonome und elektrische Schifffahrt im »National Transport Plan« als Zukunftstechnologie, die man intensiv vorantreiben will. Norwegen bleibe dabei, das ist den Beteiligten wichtig zu betonen, im wettbewerbsrechtlichen Rahmen: »Wir unterliegen den gleichen Regeln wie der Rest Europas, wir sind lediglich aktiver,« sagt Tor Mühlbradt von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Innovation Norway. Er glaubt fest an die Idee des Clusters, über 150 Firmen aus der maritimen Branche sind dabei. Im Nah- und Küstenverkehr sollen autonome Systeme verstärkt zum Einsatz kommen, meint Baklien: »Wegen der anteilsmäßig hohen Crewing-Kosten sind kleine Schiffe oft nicht rentabel. Kann man diese Ausgaben senken, machen kleinere Schiffe wirtschaftlich wieder mehr Sinn.« Beim unabhängigen Forschungsinstitut SINTEF wird seit Jahren zu möglichen Einsatzgebieten von autonomen Schiffen geforscht, etwa im Holztransport am Trondheimfjord. Studien haben gezeigt, dass mit partiell autonomen 50-TEU-Schiffen – statt mit Lkw oder alten Mehrzweckfrachtern – die Logistik weit (kosten-)effektiver aufgestellt, Kajen und Lager besser ausgelastet werden könnten. Norwegen hat viele Kanäle, die für den Küstenverkehr genutzt werden können. Bislang sind sie aber nur zu 5% ausgelastet. Im Trondheimfjord, im Hortenfjord und im Storfjord lässt die Regierung Tests für autonome Technologien zu, ein weiteres Areal soll 2019 eröffnet werden. Auch die »Yara Birkeland« profitiert davon, das neueste Modell wurde im Hortenfjord zu Wasser gelassen, dort hat Kongsberg ein Testzentrum eingerichtet. Dass die Anstrengungen auch bei den Schifffahrtstreibenden selbst Anklang finden, macht ein Statement von Harald Solberg, Geschäftsführer beim norwegischen Reederverband NSA deutlich. Er sprach sich jüngst dafür aus, die 25.148 km lange Küstenlinie des Landes als »Labor« zu nutzen. Mit der Stärke des Clusters könne man als Pioniere autonome Technologie zur Marktreife bringen. Zu den Zielen gehört die Standardisierung, um die Kosten solcher Projekte zu senken. Beim Cluster SAMS (»Sustainable Autonomous Mobile Systems«) laufen die kooperativen Fäden zusammen. Direktorin Torun Degnes hat klare Vorstellungen: »Wir müssen Seeund Landtransporte besser verknüpfen, das große Ganze im Blick behalten und Erkenntnisse aus anderen Branchen nutzen.« Sie nennt das den »Norwegischen Weg«. Es wird sich zeigen, wie weit die stark betonte Bekenntnis zur Kooperation geht, wie weit der Einfluss vom SAMS reicht. Nämlich dann, wenn der Business Case real wird. Wenn also diejenigen Beteiligten, die zum Teil börsengelistete Unternehmen sind, mit Verpflichtung ihren Anteilseignern gegenüber, einen stärkeren Fokus auf rein ökonomische Aspekte legen (müssen). Die Voraussetzungen sind jedoch gut. HANSA International Maritime Journal – 155. Jahrgang – 2018 – Nr. 12 41
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