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HANSA 12-2018

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Schifffahrt | Shipping Aber worum geht es eigentlich im Detail? Ein genauerer Blick lohnt sich. Yara will die »Yara Birkeland« für die konzerneigenen Transporte von der Fabrik bis in die Exporthäfen Larvik und Brevik nutzen, in nationalen Gewässern über 27 und 7,5 sm. Ersetzt werden teurere, umweltschädlichere und in der Summe aufwendigere Landtransporte über 39 und 13 km. Die wichtigsten Komponenten: Für den vollelektrischen Antrieb sorgen Lithium-Ionen-Batterien mit einer Gesamtkapazität von 6,8MWh. Sowohl der Schiffs- als auch der Umschlagbetrieb sollen autonom erfolgen. Allerdings gibt es noch einige Baustellen, sowohl mit Beton als auch mit Technologie und Paragraphen. Aber um es vorwegzunehmen: Skepsis lassen sich die Beteiligten nicht einreden. Nach der Ablieferung des Schiffs im Jahr 2020 ist der autonome Betrieb nicht unverzüglich möglich. Dessen Start wurde auf 2022 verschoben – um auf die Rechtslage zu warten und die Systeme zu testen, wie es offiziell heißt. Mit Seeleuten in einer provisorischen Schiffsbrücke und Hafenarbeitern auf den Kranen. Zwar steht der traditionelle erste Stahlschnitt für das Schiff in diesen Tagen an. Die rumänische Vard-Tochterwerft Braila arbeitet am Kasko. Für die endgültige Fertigstellung wird die »Yara Birkeland« 2019 zur Vard-Werft in Brevik gebracht. Vor dem Baustart gab es allerdings eine erste Verzögerung. Eigentlich wollte man schon Monate früher beginnen. Man tüftelte jedoch an der Stabilität des Schiffs, wie Ketil Olaf Paulsen von Kongsberg ein paar Kilometer weiter nördlich in Horten bestätigt. Im dortigen Forschungszentrum hat das Unternehmen viel Zeit in die Entwicklung investiert. »Cyber-Sicherheit? Wir haben bewiesen, dass wir es können!« Ketil Paulsen, Kongsberg »Es war nicht so leicht, aber jetzt sind wir sehr zufrieden«, so der Technologie- Direktor. Den Schwerpunkt des Open- Hatch-Schiffes habe man niedriger setzen müssen. Schlussendlich entschied man sich für ein Design mit zwei Ballasttanks, mit denen das Schiff getrimmt werden kann, ohne extra Ballastwasser aufnehmen oder abgeben zu müssen. Aber: In Paulsens Zuständigkeitsbereich sind damit nicht alle offenen Fragen beantwortet. Eine weitere ebenso schwierige wie wichtige Aufgabe muss noch für die Anlegemanöver gelöst werden. »Wir arbeiten an einem Auto-Mooring-System. Noch sind wir nicht fertig«, sagt Paulsen. Fest steht, dass es mit Roboterarmen, Seilen und Winden konfiguriert wird. Allen Beteiligten ist klar, dass sehr komplexe Prozesse durchdacht werden müssen. Paulsen erkennt die Grenzen an: »Keine Firma der Welt hat heute die gesamte Palette an Autonomie-Technik. Wir müssen kooperieren.« Kongsberg selbst liefert Systeme für den Schiffsbetrieb, für die gesamte Logistikkette sei jedoch »mehr« nötig. Der Rückgriff auf mehrere Partner birgt allerdings eine Problematik in sich, die sich als eine der schwerwiegendsten darstellt: Die verschiedenen Systeme müssen nicht nur technisch in einen Gesamtkomplex integriert werden. Das ist zwar auch eine Herausforderung, sie lässt sich jedoch mit dem gemeinsamen Knowhow verhältnismäßig leicht meistern. Eine größere Hürde ist hingegen die Sicherheit und die Vermeidung von Kollisionen. Für die »Yara Birkeland« setzt man auf bekannte Technologien, beispielsweise Kameras, Satelliten- Daten (AIS), digitale Seekarten (ECDIS), Der Yara-Blick auf relativ Großes im Größeren und einen »missing link« Bjørn Tore Orvik steht am Frierfjord und beschreibt ausgiebig seinen Arbeitsplatz. Sein Enthusiasmus für das Großprojekt »Yara Birkeland« ist ihm deutlich anzusehen. Der Konzern hat sich eine Image-Kampagne auf die Fahne geschrieben, die Welt auf nachhaltige Weise zu versorgen. Dabei spielt die Logistik eine wichtige Rolle. Projektmanager Orvik, früher für die Offshore-Branche weit ab vom Landtransport tätig, hatte sich diesem Thema vor zwei Jahren gewidmet. Und er war überrascht, was alles möglich ist, als er sich mit Experten unterhielt. Das war die Geburtsstunde der »Yara Birkeland«. Das Beladen der Container erfolgt auch weiterhin klassisch mit menschlicher Arbeitskraft © Meyer Bislang – und auch nach Inbetriebnahme des Schiffes – werden die Düngemittel per Lkw und vor allem mit Bulk-Schiffen abtransportiert. Es geht um enorme Mengen, Yara produziert jährlich 3 Mio.t., 100 mit Containern beladene Lkw verlassen das Gelände täglich. Schon bald sollen 100 Container pro Tag auf das Wasser gebracht werden. Von Porsgrunn geht es dann zu den Exporthäfen Larvik und Brevik. Aus 39 und 13 km Landweg werden 27 und 7,5 sm auf dem Wasser. Im besten Fall dauert das vier Stunden, einmal am Tag, fünfmal pro Woche. Damit will man die Logistikkosten drastisch drücken. Laut Orvik hat die »Yara Birkeland« Betriebskosten, die denen von zwei bis drei Lkw entsprechen. Vor allem die eingesparten Besatzungskosten machen sich bemerkbar. »Auch beim Energieverbrauch fällt der Vergleich deutlich aus«, behauptet er mit Blick auf die Lkw auf dem Gelände. Schließlich entfallen die Emissionen von deren Diesel-Antrieben. Mit ihrem Batterieantrieb vom Schweizer Hersteller Leclanché könnte die »Yara Birkeland« bei optimalen Bedingungen und im Eco-Speed-Modus bis zu 30 Stunden fahren. Prinzipiell sieht Orvik aber kaum Grenzen: »Wir könnten weitere Batteriemodule an Bord platzieren, dann wäre die Reichweite größer.« Die Ladestation ist nur ein Teil der nötigen Umbauten an Land. Auf dem Yara-Gelände entsteht eine neue Kaje. Dafür wird eigens ein älteres Lagerhaus abgerissen. Noch ist das Areal eine einzige Baustelle, kaum als künftig hochmoderne, elektrisch und autonom betriebene Hafenanlage erkennbar. 38 HANSA International Maritime Journal – 155. Jahrgang – 2018 – Nr. 12

Schifffahrt | Shipping GPS sowie Instrumente für die Abstandsmessung wie Radar und Lidar. Manch einer meint, dass auch für den Schutz vor Cyber-Attacken in der fahrenden Flotte schon heute ausreichende Instrumente verfügbar sind. Schließlich ist das Thema nicht gänzlich neu. Bei einem autonomen Betrieb gibt es allerdings eine größere Anzahl anfälliger Komponenten, weil es eine ausgeprägtere IT-Verbindung zwischen Land und Schiff gibt. Im Notfall muss von außen in die Bordsysteme eingegriffen werden können. Kongsberg hat für seine militärischen Aktivitäten schon Erfahrungen mit der Problematik gesammelt und Produkte parat. Sie dürfen im »zivilen« Markt jedoch nicht genutzt werden. »Wir haben bewiesen, dass wir es können und auch für das Schiff eine abgesegnete Lösung«, beteuert Paulsen. Porsgrunn Brevik Larvik Bald auch Rolls-Royce an Bord? Geht alles seinen geregelten Gang, kommt bald ein weiterer Partner hinzu, dessen Systeme integriert werden müssen. Kongsberg wartet auf die kartellrechtlichen Genehmigungen zur Übernahme des kommerziellen Marine- Geschäfts von Rolls-Royce. Der Techno- © HANSA Drei Testgebiete für autonome Schiffe gibt es in Norwegen bereits, zwei weitere (rot) sind geplant. Die künftige Route der »Yara Birkeland« soll einige Kilometer Landtransporte auf z.T. schwach ausgebauten Straßen ersetzen Wenn es aber so weit ist, tritt der ehrgeizige Plan von Orvik und seinen Kollegen in Kraft. Schon jetzt werden die Düngemittel automatisiert in Säcke gefüllt. Danach aber kommen noch Arbeiter zum Einsatz. Sie verfrachten die auf Paletten gestapelten Säcke per Stapler in Container, verladen diese per Reach-Stacker auf Lkw. Auch in Zukunft soll der Prozess nicht vollständig unbemannt ablaufen. Denn das Beladen der Container wird weiterhin von Hafenarbeitern übernommen. »Das ist unser fehlendes Glied und das wird es auch vorerst bleiben«, bestätigt Orvik und zeigt auf seine Kollegen auf Staplern und Transportfahrzeugen vom Typ Reach-Stacker, um jedoch schnell hinterherzuschieben: »Dafür gibt es aber Ideen zur Automatisierung.« Eine Realisierung sei jedoch allenfalls mittelfristiges Ziel. Nach dem Befüllen soll ein Mitarbeiter künftig per Tablet den »autonomen Zyklus« starten: Unbemannt fahrende Portalhubwagen (Straddle-Carrier) bringen die Container an den Liegeplatz der »Yara Birkeland« – und zwar im regulären, innerbetrieblichen Straßennetz. Selbst die Hüter der Straßenverkehrsordnung bleiben beim Bedarf an neuen Regeln also nicht verschont. Denn die neuen Maschinen fahren auf denselben Straßen, die auch von anderen Fahrzeugen genutzt werden. Mensch und Maschine müssen sich das Wegenetz teilen. Ein Problem, mit dem auch Entwickler autonom fahrender Autos kämpfen, Tesla und Google lassen grüßen. Für die landseitige Technologie hat sich Yara die Expertise vom Hersteller Kalmar gesichert. Ein batteriebetriebener Kran und drei Portalhubwagen sind vorgesehen. Mit autonomen Anlagen haben die Finnen zwar schon Erfahrungen gesammelt, »allerdings nicht im gemischten Verkehr«, so Orvik, daher liege noch einige Arbeit vor den Entwicklern. Schlussendlich müssten all die Systeme, in den Hallen, auf den Straßen, an der Kaje und an Bord, integriert werden. Der Projektmanager sieht ein, dass dies eine der größten Herausforderungen sein wird, er lässt sich aber nicht beirren, wagt sogar einen Blick in die weitere Zukunft: »Wenn alles gut läuft, könnten wir ein zweites Schiff bauen.« Die Regierung würde es ihm und seinem Arbeitgeber danken, soviel ist sicher. Es gibt aber auch noch Potenzial: Selbst wenn wie geplant 40.000 Lkw-Fahrten ersetzt werden, den genauen Blick sollte die Euphorie nicht trüben. Denn in Relation zum gesamten Export werden die autonomen Transporte nur einen kleinen Teil ausmachen. Die »Yara Birkeland« wird maximal 10% der Düngemittel verschiffen. Der Rest wird weiter auf Lkw und konventionelle Bulker entfallen. Einerseits, weil das neue Schiff begrenzte Kapazitäten hat. Andererseits, das ist der schwerwiegendere Grund, wird ein sehr großer Teil der Ladungen gar nicht in Stahlboxen ausgeführt, sondern als Bulk-Ladung. Container-Exporte gibt es nur für spezielle Empfänger im Hinterland. Die wirklich großen Exportmärkte liegen woanders, in China, Thailand und Brasilien. Dort gibt es Distributionszentren für Bulk-Ladungen. Bei der Umwelteffizienz der gecharterten Bulker sind die Yara-Befrachter verhältnismäßig großzügig. Nein, einen Zwang zu umweltfreundlichen Antrieben gebe es nicht, heißt es. Wenn man wählen könne, nehme man natürlich das Schiff mit der besseren Öko-Effizienz. Das Angebot bestimmt die Nachfrage. Auch hier gibt es also Potenzial. HANSA International Maritime Journal – 155. Jahrgang – 2018 – Nr. 12 39

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