SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY Nuklear-Technik auf See? »Veraltetes Image!« Angesichts der gewünschten maritimen Energiewende plädieren wieder mehr Stimmen für die Nutzung von Nuklear-Technologien – darunter die neue Organisation NEMO. Ihr Vorstand Mamdouh El-Shanawany bezieht gegenüber der HANSA Stellung Was war der ausschlaggebende Grund für die Entscheidung, NEMO zu gründen? Mamdouh El-Shanawany: Ich denke, viele von uns hatten in den letzten ein oder zwei Jahren das Gefühl, dass es einen Branchenverband braucht, der sich speziell auf die »nukleare Mobilität« konzentriert. Es gibt zwar bereits seit den 1990er-Jahren das World Nuclear Transport Institute (WNTI). Aber es ist kein Geheimnis, dass das WNTI – zu Recht – plant, sich weiterhin auf seine ursprüngliche raison-d’etre des Kernmaterialtransports zu konzentrieren. Die Ziele der NEMO und von WNTI unterscheiden sich also auf subtile, aber entscheidende Weise. Ich würde sagen, der Anstoß zur Gründung der NEMO kam etwa im letzten Quartal 2023 und wir fanden schnell eine Gruppe Gleichgesinnter. Was sind die Hauptziele? El-Shanawany: Unser übergeordnetes langfristiges Ziel ist es, dass die kommerzielle Nutzung von Kernenergie auf See eine weit verbreitete Lösung wird und auf verantwortungsvolle Weise floriert. Wir wollen, dass diese Technologie ihre wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung des Verkehrs und der Schwerindustrie ab den frühen 2030er Jahren bis 2050 und darüber hinaus spielt. Mittel- bis langfristig will die NEMO die Entwicklung zukunftsorientierter Regeln und regulatorischer Rahmenbedingungen fördern, die als Grundlage für den sicheren und nachhaltigen Einsatz dienen, sobald die Technologie bereit ist. Gibt es ein Ziel für die Anzahl der Mitglieder? El-Shanawany: Unsere Mitglieder kommen aus etwa acht branchenübergreifenden Segmenten der maritimen und nuklearen Industrie. Angesichts dieser breiten Basis gibt es unserer Meinung nach keinen Grund, warum wir mittelfristig nicht eine dreistellige Mitgliederzahl erreichen sollten. Das würde unterstreichen, wie wichtig es uns ist, dass neue Nukleartechnologien von den Regulierungsbehörden gleichberechtigt mit anderen zukünftigen Brennstoffen und Technologien bewertet werden. Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Triebfeder für den Einsatz von Nukleartechnologien in der Schifffahrt? Welche Vorteile kann die Schifffahrt daraus ziehen? El-Shanawany: Es gibt mehrere Triebkräfte, aber ich würde sagen, dass es auf eine überzeugende Mischung aus kommerziellen Faktoren und den alles überragenden ESG-Aspekten (Environmental, NEMO Chairman Mamdouh El-Shanawany Nuclear Energy Maritime Organization (NEMO) • Gegründet: 2024 • Sitz: London • Mitglieder: 11 bei Gründung, aktuell 32 (09/24). Erwartung für 01/25: 50 Mitglieder • Arbeitsgruppen: 3 • Ziel: Schaffung eines harmonisierten Rechtsrahmens, der bis 2030 eine kommerzielle schwimmende Kernkraftaktivität ermöglicht. © NEMO Social, and Governance) ankommt. Wenn Führungskräfte in der Schifffahrt ihre Optionen kritisch bewerten, wird deutlich, dass die fortschrittliche Kernenergie die einzige wirklich emissionsfreie Energiequelle ist, die Schiffe mittlerer bis großer Tonnage über ihre gesamte Lebensdauer hinweg antreiben kann. Bestimmte fortschrittliche Reaktoren sind für den Antrieb größerer Schiffe geeignet. In Anbetracht der Tatsache, dass eine unverhältnismäßig kleine Anzahl großer Schiffe – etwa 7.000 – für etwa die Hälfte der Treibhausgasemissionen im Seeverkehr verantwortlich ist, könnte selbst eine begrenzte Verbreitung der Technologie eine erhebliche Wirkung entfalten. Was ist Ihrer Meinung nach das größte Hindernis? El-Shanawany: Es gibt einige verschiedene Herausforderungen, die mir in den Sinn kommen. Eine der bedeutendsten ist jedoch das, was wir als »veraltete« öffentliche Wahrnehmung bezeichnen würden. Lange Zeit wurde die Nukleartechnologie als »zu schwierig« abgetan – als zu spezialisiert und zu umständlich, um sich damit zu befassen. Dieses Missverständnis ist eine große Hürde, die wir überwinden müssen. Unsere Aufgabe ist es, diese Sichtweise zu ändern. Die Entwicklung wird für den Sektor ganz einfach einen Wendepunkt darstellen. Indem wir die Nukleartechnologie als eine leichter zugängliche und handhabbare Option präsentieren, können wir damit beginnen, die langjährigen Vorbehalte auszuräumen, die ihre Einführung in maritime Anwendungen verhindert haben. Und wie gedenken Sie, dieses Hindernis zu überwinden? El-Shanawany: Nun, in gewisser Weise ändert sich die öffentliche Wahrnehmung bereits auf natürliche Weise, wenn auch langsam. Jüngere Generationen, die nicht mehr durch die Rhetorik des Kalten Krieges belastet sind, beginnen, die Kernenergie vor dem Hintergrund der Klimakrise neu zu bewerten. NEMO will einen Beitrag leisten, und zwar in den richtigen Foren zum richtigen Zeitpunkt. Eine der Aufgaben ist es, die Branche und damit auch die Öffentlichkeit über die Vorteile der Technologie zu informieren und aufzuklären. Wir sind uns darüber im Klaren, dass es einen langer Weg ist. Was erwarten oder erhoffen Sie von der IMO und anderen regulatorischen/politischen Gremien in dieser Hinsicht? 40 HANSA – International Maritime Journal 10 | 2024
SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY El-Shanawany: Wir hoffen, dass die IMO-Mitgliedstaaten erkennen, dass die bestehenden Vorschriften für die kommerzielle Nutzung der Kernenergie im Seeverkehr, die aus dem Jahr 1981 stammen, längst überfällig sind. Die NEMO könnte bei einer solchen Überarbeitung helfen, um sicherzustellen, dass die Vorschriften der nächsten Welle fortschrittlicher Nukleartechnologien gerecht werden. Umgekehrt befasst sich natürlich auch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) mit dem Einsatz der Kernenergie auf See und leistet wichtige Arbeit in Bezug auf Harmonisierungsinitiativen und Sicherheit. Wir möchten die IAEO-Mitgliedstaaten auffordern, sich mit ihren IMO-Kollegen auszutauschen, um das beste Ergebnis zu erzielen. Was könnten Lerneffekte aus anderen Branchen sein? El-Shanawany: Als Nuklearingenieur kann ich sagen, dass der Nuklearsektor wertvolle Lehren aus dem Schiffbau und dem Offshore-Energiesektor ziehen kann, wenn es um die effiziente Herstellung großer, komplexer Anlagen innerhalb des Zeit- und Kostenrahmens geht. Mit dem Ansatz, sich auf sehr wenige sehr große Infrastrukturprojekte zu konzentrieren, die im Abstand von vielen Jahren realisiert werden, lassen sich die ehrgeizigen Ziele der COP28-Unterzeichner zur Verdreifachung der Kernkraftkapazitäten nicht erreichen. Wir brauchen eine neue Lösung: die Herstellung ganzer Kraftwerke in einer Anlage und ihre Lieferung auf dem Seeweg zu den Küstenstandorten. Der Schiffbausektor hat gezeigt, dass mit modularen Bautechniken solch große und komplexe Anlagen in Serie gebaut werden können. Was könnten konkrete Anwendungen der Kerntechnik in der maritimen Industrie sein? El-Shanawany: Beginnen wir mit schwimmenden Kernkraftwerken (FNPPs). Sie könnten in oder in der Nähe von Häfen platziert werden, um die Bemühungen zur Dekarbonisierung zu unterstützen, indem sie die Hafeninfrastruktur mit Strom versorgen, z. B. Portalkräne, das Aufladen von Elektrofahrzeugen und kleine batteriebetriebene Schiffe. Diese Anlagen könnten auch industrielle Nutzer in Küstennähe wie die Stahl-, Zement- oder Chemiebranche bedienen, die bereits den Einsatz von kleinen modularen Reaktoren (SMR) an Land prüfen. Eine weitere Anwendung könnte darin bestehen, FNPPs an beiden Enden etablierter grüner Korridore zu platzieren, wo sie die Produktion von kohlenstoffarmen synthetischen Kraftstoffen in großem Maßstab betreiben könnten. Diese Kraftstoffe könnten z. B. von Schiffen verwendet werden, die diese Korridore durchqueren. Außerdem könnte die gleiche Anlage die Produktion von nachhaltigem Flugkraftstoff (e-SAF) für nahe gelegene Küstenflughäfen unterstützen. Neben der Kraftstoffproduktion könnten FNPPs auch Rechenzentren und Entsalzungsanlagen mit Strom versorgen oder zum Ausgleich der schwankenden Leistung von Offshore-Windparks beitragen. energy-saving & environmentally friendly PM GENERATOR PM THRUSTER MAIN PROPULSION Oswaldstraße 1 | D-63897 Miltenberg | oswald@oswald.de | +49 9371 9719 0 | www.oswald.de HANSA – International Maritime Journal 10 | 2024 41
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