SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY Das lange Zittern um die Meyer Werft in Papenburg Die Papenburger Meyer Werft – über Jahrzehnte der Inbegriff von Zuverlässigkeit und Souveränität im deutschen Schiffbau- ist durch die Corona-Krise in unruhiges Fahrwasser geraten. Am Ende eilten Bund und Land zur Rettung herbei. Ein Überblick über die Ereignisse der letzten Monate von Christoph Assies. Mit Beginn der Pandemie wurden zunächst Aufträge für Kreuzfahrtschiffe von den weltgrößten Playern der Branche, von Carnival, Silversea und Disney, gestreckt. Nach der Pandemie erholte sich der Kreuzfahrtmarkt vor allem in den USA zwar recht schnell, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine aber führte in eine Inflation. Die Preise, vor allem für Stahl, stiegen, zudem gab es weltweit Lieferschwierigkeiten. Im April machten dann erste Schlagzeilen die Runde, wonach die Meyer Werft neue finanzielle Zusagen brauche. Kurz zuvor hatte die Carnival Cruise Line zwei weitere Schwesterschiffe der »Carnival Jubilee« in Papenburg geordert. Eigentlich ein klares Signal für eine positive Entwicklung des Kreuzfahrtmarktes. Dennoch: Die finanziellen sorgen aber wuchsen. Wirtschaftsprüfer wurden mit einem Sanierungsgutachten für das Unternehmen beauftragt. Die niedersächsische Landespolitik wurde eingeschaltet, weil möglicherweise zusätzliche Bürgschaften erforderlich würden, berichtete seinerzeit die Wirtschaftswoche. Erstmals ist von einem Kredit die Rede, der bis November 2024 getilgt werden muss. Die Refinanzierung sei »dem Vernehmen nach« nicht gesichert, heißt es schon damals. Aus dem Vernehmen sollte ein Fakt werden. Werftsprecher Peter Hackmann räumt bereits im Frühjahr ein, man habe »bei Bund und Land angefragt, uns zu unterstützen. Unsere finanzielle Situation ist anspruchsvoll«, sagte er. Material-Engpässe, Preissteigerungen und unsichere Lieferketten, die immer wieder zu einer verspäteten Ablieferung von Neubauten geführt hatten, lasteten auf der Meyer Werft. Die pünktliche Ablieferung der »Carnival Jubilee« Anfang Dezember 2023 hatte in Papenburg und auf der Werft eine noch nie dagewesene Erleichterung ausgelöst. Werft-Senior - chef Bernard Meyer aber betont unmissverständlich, wie wichtig die rechtzeitige Übergabe des Schiffes an gewesen sei, »um das Vertrauen der Kunden in die Werft zurückzugewinnen und Folgeaufträge zu bekommen. Trotz dieser »Teamleistung«, wie Werft-Geschäftsführer Jan Meyer den Kraftakt bezeichnet, werden im Geschäftsbericht der damals noch in Luxemburg ansässigen Holding für 2022 bereits Verbindlichkeiten in Höhe von 764 Mio. € ausgewiesen. Bei einem Jahresumsatz von 2,1 Mrd. € lag das Jahresergebnis bei gerade einmal 34 Mio. €. »Wir haben bei Bund und Land angefragt, uns zu unterstützen. Unsere finanzielle Situation ist anspruchsvoll« Werftsprecher Peter Hackmann Frühjahr 2024 2023 hatte ein Bankenkonsortium einen Kredit in Höhe von 326 Mio. € gewährt. Das Land Niedersachsen bürgte für mehr als der Hälfte der Summe. Auch Mecklenburg-Vorpommern hatte der zur Meyer-Werft-Gruppe gehörenden Neptun Werft in Rostock-Warnemünde imselben Jahr eine Bürgschaft über rund 80 Mio. € für den Bau neuer Flusskreuzfahrtschiffe zugestanden. In der Region, an den Papenburger Kanälen, wo unzählige Menschen direkt oder indirekt von der Meyer Werft abhängen, sorgten die Schlagzeilen für ungläubiges Staunen. Die neuen Kreuzfahrtaufträge und der Einstieg in den Bau von Offshore-Konverterplattformen hatten doch eher Aufbruchstimung ausgelöst. Doch dann holt die Meyer Werft noch im April einen ausgewiesenen Restrukturierungsexperten an Bord. Ralf Schmitz soll als Chief Restructuring Officer das Unternehmen sanieren. Schmitz gilt als einer der Top-Namen in Deutschland. Zuvor war er an der Neuausrichtung des Essener Energiekonzerns Steag federführend beteiligt und ebnete den Weg für den Verkauf des Konzerns. Ebenfalls beteiligt war der Rheinländer an Sanierungen bei der Werkstattkette ATU und beim Textildiscounter NKD. Kurz nachdem Schmitz die Arbeit aufgenommen hat, geht die nächste Hiobsbotschaft durch die Medien. Nun ist von Schulden in Höhe von 2,8 Mrd. € die Rede – die Lage der Meyer Werft ist kritischer als gedacht. Schmitz empfiehlt die Streichung von 440 der 3.300 Jobs in Papenburg. Er befindet auch die Eigenkapitalausstattung des Unternehmens als nicht ausreichend, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Meyer wird das für Kreuzfahrt- Neubauten marktübliche Finanzierungsmodell zum Verhängnis. Die Kunden zahlen bei der Bestellung lediglich 20 % der Kaufsumme, die restlichen 80 % erst bei der Ablieferung des fertigen Schiffes. 36 HANSA – International Maritime Journal 10 | 2024
SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY Ab dem Frühjahr ziehen dunkle Wolken über der Traditionswerft Jos. L. Meyer in Papenburg auf © Assies Senior-Chef Bernard Meyer Sanierungsexperte Ralf Schmitz Meyer-CEO Bernd Eikens Betriebsratschef Andreas Hensen Daher muss die Werft den Großteil der Kosten zwischenfinanzieren. Dafür wurden in der Regel die Anzahlungen der folgenden Schiffe genutzt. 230 Jahre lang ging das gut. Als jedoch während der Corona-Krise der gesamte Reisesektor in Schwierigkeiten geriet, Ablieferungen zeitlich gestreckt wurden und neue Aufträge ausblieben, geriet das System aus den Angeln. Dem Vernehmen nach waren fehlten in den Verträge auch Gleitklauseln, um Preissteigerungen während des Bauphase aufzufangen. Die Mehrkosten musste die Meyer Werft stattdessen selbst stemmen. Die Situation spitzte sich im Verlauf des Jahres immer weiter zu und erreichte mehr und mehr auch die Belegschaft. »Hat die Meyer Werft einen Schnupfen, bekommt die ganze Region eine schwere Lungenentzündung«, sagt man im Emsland. Kein Wunder, denn von dem Schiffbauer hängen 3.300 Arbeitsplätze direkt und 18.000 indirekt durch die Zulieferbetriebe ab. Hinzu kommt der Tourismus, für den die Meyer Werft seit den 1980er Jahren ein Zugpferd ist. Das Besucher - zentrum ist seit Jahren eine der Top- Destinationen in Norddeutschland, in der Spitze sind es jährlich 250.000 Menschen. Meyer zahlte gut, auch Prämien, wenn Werftarbeiter während der Probefahrten an Bord der Traumschiffe gingen. Einige hatten das bei ihrer Haus-Finanzierung fest mit einkalkuliert. Papenburg hat eine der höchsten Eigenheim-Quoten in der ganzen Republik. Angesichts der schlechten Nachrichten geraten jetzt ganze Lebenspläne ins Wanken. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) reist im Juni erstmals zur Werft, um an einer Kundgebung von Betriebsrat und Gewerkschaftsvertretern vor dem Werfttor teilzunehmen. Die Krise rief das Land auf den Plan. Dass es jetzt fast reflexartig um die Entlassung von Beschäftigten gehe, sei der falsche Weg, sagt der Minister. Die Meyer Werft sei für die Region von zentraler Bedeutung. »Die, die in der Vergangenheit dafür gesorgt haben, dass überhaupt Schiffe gebaut werden, dürfen am Ende nicht die ersten sein, die auf der Liste stehen«, so der Sozialdemokrat. HANSA – International Maritime Journal 10 | 2024 37
Laden...
Laden...
Schiffahrts-Verlag Hansa GmbH & Co. KG | Stadthausbrücke 4 20355 Hamburg
Tel. +49 (0)40 707080-01
Fax +49 (0)40 707080-208
Kontaktieren Sie uns: redaktion@hansa-online.de