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HANSA 08-2021

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FINANZIERUNG | FINANCING

FINANZIERUNG | FINANCING LTAV – ein Relikt oder wichtiger denn je? In der Finanzkrise nach der Lehman-Pleite wurde der LTAV als alternative Methode zur Ermittlung des langfristigen Ertragspotenzials neben dem Marktwert geschaffen. Aber auch im aktuellen Marktaufschwung liefert dieses Verfahren aufschlussreiche Ergebnisse In diesem Sommer der Rekorde auf dem Containermarkt scheint die Finanzkrise des Jahres 2008 nur noch wie eine ferne Erinnerung. Die Pleite der Lehman-Bank stürzte die weltweiten Finanzmärkte in tiefes Chaos. Auch auf den Schifffahrtsmärkten ging von einem Tag auf den anderen praktisch nichts mehr. Transaktionen am An- und Verkaufsmarkt kamen nahezu völlig zum Erliegen und eine realistische Bewertung von Schiffen wurde faktisch unmöglich. In diesem Kontext fand sich in Hamburg eine Gruppe von Praktikern aus der Schifffahrt, darunter das Ingenieurbüro Weselmann, um eine alternative Bewertungsmethode zu entwickeln, die auch in massiv gestörten Märkten anwendbar und gleichzeitig transparent und nachvollziehbar sein sollte. 2009 dann wurde der Long Term Asset Value (LTAV) der Taufe gehoben. Der Grundgedanke war und ist, neben dem naturgemäß stark schwankenden und zeitweilig auch gar nicht ermittelbaren Marktwert das langfristige Ertragspotenzial in den Blick zu nehmen. Damit war es möglich, auch in einer Zeit des völligen Stillstands und einer extremen Unsicherheit im Markt, auf transparenten und nachvollziehbaren Parametern basierende Schiffswerte zu ermitteln. Nun könnte die Situation heute im Container- und auch im Bulkermarkt kaum unterschiedlicher sein als damals auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. Hat der LTAV in einem endlich wieder boomenden Markt als Bewertungsmethode überhaupt noch Relevanz? Als Ingenieurbüro Weselmann meinen wir: Gerade jetzt kann der LTAV sogar ein sehr wertvolles Tool sein. Es gab in der Vergangenheit immer wieder die Unterstellung, der LTAV diene eigentlich nur dazu, Schiffswerte schön zu rechnen. Das war nie ganz korrekt, auch wenn natürlich tatsächlich über viele Jahre die LTAV-Werte signifikant über den jeweiligen Marktwerten lagen. Zunächst einmal ging es darum, in einer Zeit der Agonie überhaupt Werte ermitteln und belegen zu können. Ein solches Szenario, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen, zeichnet sich im Containermarkt auch heute ab, da die Verfügbarkeit kurzfristig charterfrei lieferbarer Tonnage derzeit rapide sinkt. In Teilsegmenten könnte eine realistische Bestimmung von Marktwerten trotz der hohen Nachfrage schon sehr bald unmöglich werden, weil Tonnage schlicht nicht mehr zur Verfügung steht. Der Marktwert eines Assets ist immer und notwendigerweise eine Momentaufnahme, die schon wenige Wochen später völlig überholt sein kann, zumal in einem so volatilen Umfeld wie der Schifffahrt. Der LTAV ermöglichte und ermöglicht den Blick weg von der Momentaufnahme hin zum langfristigen Ertragspotenzial des Schiffes. Der Methodik zugrunde liegt ein Nettobarwertoder Discounted Cash Flow-Verfahren, wie sie branchenübergreifend seit Jahrzehnten zum Einsatz kommen. Hierbei wird der heutige Wert der erwarteten Chartereinkünfte, basierend auf historischen Durchschnittswerten, über die Restlebensdauer des Schiffes mittels eines festgelegten Abzinsungsfaktors berechnet. Dadurch lassen sich Übertreibungen des Marktes in beide Richtungen identifizieren. Es dürfte auf der Hand liegen, dass ein LTAV-Wert deutlich unterhalb des Marktwertes zumindest einen deutlichen Hinweis auf einen überhitzten Markt und ein überbewertetes Schiff geben kann. Der Blick auf das langfristige Ertragspotenzial kann daher helfen, teure Fehler zu vermeiden. Wo also stehen wir nun heute? Gegenstand der näheren Betrachtung sind zwei Marktsegmente – der Container- und der Bulkermarkt – sowie jeweils vier Schiffstypen. Dafür wurden LTAV unter verschiedenen Annahmen berechnet und in Relation zum Marktwert gesetzt. Alle Berechnungen beziehen sich auf den Stichtag 30. Juni. Im Containerbereich wurden beispielhaft folgende Schiffe ausgewählt und bewertet: Widebeam Klassischer Panamax Sub-Panamax Wenchong Berechnet man nun den LTAV mit der aktuellen 12-Monatscharter für das erste Jahr und dem 15-Jahres-Durchschnitt der 12-Monatscharter kommt man auf folgende Werte: Widebeam Klassischer Panamax Subpanamax Wenchong TEU 4.620 4.255 2.824 1.740 Baujahr 2012 2009 2007 2010 Bauwerft Shanghai Shipyard HHI Hyundai Mipo Wenchong Marktwert $ 69.000.000 54.000.000 35.000.000 22.000.000 Demnach läge also der Ertragswert der Schiffe lediglich bei durchschnittlich rund 70 % des aktuellen Marktwerts. Haben wir also tatsächlich einen deutlich überhitzten Markt und entsprechend überbewertete Schiffe? Hierzu muss man berücksichtigen, dass in den letzten Monaten nicht nur Marktpreise und kurzfristige Charterraten dramatisch gestiegen sind, sondern auch die Laufzeit der abgeschlossenen Chartern. Die Jahrescharter ist heute eher die Ausnahme als die Regel, da Schiffe regelmäßig für drei oder auch fünf Jahre geschlossen werden – und zwar zu Raten weit oberhalb der langfristigen Durchschnittswerte. Es erscheint also angemessen, eine 5-Jahres-Charter und erst nach deren Ablauf eine Rückkehr zu dem langfristigen Durchschnittswert anzunehmen. Das Ergebnis sieht wie folgt aus: Widebeam Klassischer Panamax Subpanamax Wenchong LTAV #1 52.343.000 32.535.000 21.409.000 17.802.000 LTAV #2 63.989.000 47.345.000 34.911.000 20.624.000 Marktwert 69.000.000 54.000.000 35.000.000 22.000.000 Marktwert 69.000.000 54.000.000 35.000.000 22.000.000 16 HANSA – International Maritime Journal 08 | 2021

FINANZIERUNG | FINANCING Abstract: LTAV still matters In the wake of the 2008 financial crisis, it became virtually impossible to establish ships’ values. A group of Hamburg shipping professionals set out to establish the LTAV (long term asset value), a discounted cash flow method with standardized parameters. At a first glance, things couldn’t be more different in the summer of 2021, with container markets reaching uncharted heights and bulker doing very nicely indeed as well. Does the LTAV still have any relevance, though? Hamburg ship valuation specialists Weselmann thinks it does, and for good reasons. An approach based on an asset’s longterm earning potential is a useful tool to identify market distortions in either direction. Applying the method to the container and bulk carrier segments, Weselmann finds reasons for concern that container vessel values may indeed have reached unsustainable levels, although this is somewhat modified by availability of multi-year time charters. The picture for bulk carriers is substantially different. Asset values until quite recently were substantially lower than the underlying earning would suggest and while prices have risen sharply in recent months, the LTAV method suggests that further upside is possible. Während der LTAV auch in diesem Szenario unterhalb des aktuellen Marktwerts liegt, hat sich der Abstand deutlich im Durchschnitt auf 6,5 % verringert. Am größten ist die Differenz beim klassischen Panamax mit rund 12 %, wohingegen bei dem mittlerweile 14 Jahre alter Sub-Panamax Markt- und Ertragswert fast exakt zusammenlaufen. Die Feststellung, dass die Assetpreise im Containersektor bereits ein sehr hohes Niveau erreicht haben, ist sicher wenig überraschend. Eine völlige Abkoppelung von den Ertragswerten lässt sich allerdings bisher nicht feststellen. Ein hoher Grad an Vorsicht ist bei Investitionen im Containersektor im heutigen Marktumfeld jedoch mit Sicherheit ratsam. Kritisch ist hier vordergründig die Bewertung des Ausfallrisikos der abgeschlossenen längerfristigen Charterverträge. Es ist wichtig zu betonen, dass es – anders als beispielsweise im Bulkerbereich vor der Finanzkrise – im Wesentlichen um etablierte Akteure mit eigenen, derzeit extrem profitablen Linienverkehren geht. Dennoch kann in Anbetracht der ständig wachsenden Verbindlichkeiten der Linienreedereien dieses Risiko nicht völlig ausgeblendet werden. Weiter wäre zu berücksichtigen, dass mittelfristig in Anbetracht der stark angestiegenen Zahl von Neubestellungen wieder mit einem deutlich höheren Flottenzulauf zu rechnen ist. Bulker unter dem Radar? Wenden wir uns nun dem Segment der Bulk Carrier zu. Wenn auch die Entwicklung weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat als der Containermarkt, so waren auch hier in den letzten Monaten stark steigende Schiffswerte und Charterraten zu beobachten. Folgenden Schiffstypen wurden ausgewählt und bewertet: Schiff Capesize Panamax Ultramax Handy tdw 179.191 76.807 63.500 36.817 Baujahr 2011 2006 2016 2011 Bei der Festlegung der Parameter zur Berechnung des LTAV ist insbesondere die anzuwendende Durchschnittscharter entscheidend. Legt man eine 10-Jahres- Charter zugrunde, liegt der LTAV rund 14 % unterhalb der heutigen Marktwerte. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass die Märkte der letzten zehn Jahre von erheblichen Überkapazitäten geprägt waren, die mittlerweile weitgehend abgebaut sind. Es wird deshalb heute oft der 15-Jahres-Durchschnitt gewählt, aber auch das führt wiederum zu Verzerrungen. Denn dabei fließen die extrem hohen Werte der Jahre 2007 und 2008 ein, die so wahrscheinlich nie wieder erreicht werden. Wir haben uns deshalb dafür entschieden, einen 15-Jahres-Durchschnitt unter Ausschluss der Jahre 2007 und 2008 zu bilden, also aus den Jahren 2004–2006 und 2009–2020. Dabei ergibt sich folgendes Ergebnis: Schiff Capesize Panamax Ultramax Handy Marktwert 29.500.000 16.000.000 24.500.000 14.500.000 Wenig Auffälligkeiten LTAV 52.016.000 21.222.000 30.494.000 19.133.000 Dem verhältnismäßig konservativen Ansatz zum Trotz zeigt sich deutlich, dass wir es – historisch gesehen – bisher nicht mit auffällig hohen Schiffspreisen im Bulkermarkt zu tun haben. Der LTAV liegt, über die verschiedenen Segmente betrachtet, etwa 41 % über den aktuellen Marktwerten, was suggeriert, dass weitere Wertsteigerungen im Rahmen des Möglichen liegen. Das ist auf den ersten Blick verblüffend, lässt sich aber plausibel erklären. Denn die Schiffswerte kommen von einem sehr niedrigen Niveau. Bis weit in das erste Quartal des Jahres 2021 hinein bewegten sich die Asset-Preise kaum vom Fleck, obwohl der Chartermarkt schon geraume Zeit eine deutliche Erholung zeigte. Das lässt sich durch das zu dem Zeitpunkt hohe Angebot an Tonnage erklären. Das kam einerseits durch den Verkauf der Scorpio-Flotte zustande als auch andererseits durch japanische Reeder, die traditionell Schiffe auf Basis einer längerfristigen Beschäftigung ordern und dann typischerweise nach zehn Jahren am Secondhand-Markt verkaufen. Bei den erheblichen Wertsteigerungen seit dem Frühjahr handelt es sich also zumindest teilweise um Nachholeffekte. Zudem dürfte sich bei Bulkern die Flottenentwicklung noch über einige Zeit sehr moderat gestalten, da in den letzten Jahren sehr wenig bestellt wurde und die meisten Neubauwerften inzwischen über Jahre mit dem Bau von Containerschiffen ausgelastet sind. Es ist allerdings weiter mit einer hohen Volatilität in diesem Segment zu rechnen. Autorin: Christiane Wittig, Chief Analyst, Ingenieurbüro Weselmann E-Mail: valuation@weselmann.de HANSA – International Maritime Journal 08 | 2021 17

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