SCHIFFFAHRT | SHIPPING jährlich genauso viele Schiffsbewegungen wie vor Somalia gibt.« Der Leeraner Unternehmer begrüßt daher ausdrücklich die Ankündigung von Dänemark, eine Fregatte zu entsenden, »denn sie zeigt, dass das Problem ernst genommen wird. Italien, Spanien, Frankreich und Portugal sind ebenfalls bereits vor Ort im Einsatz.« Auf globaler Ebene betont man deutlicher den Nutzen bereits bestehender Maßnahmen: John Stawpert von der International Chamber of Shipping (ICS) bezeichnet das jüngst verkündete Maßnahmenpaket mit dem etwas sperrigen Titel »Maritime Cooperation Framework Gulf of Guinea/ Shared Awareness and Deconfliction Gulf of Guinea« (MCF GOG/SHADE GOG) als »enormen Durchbruch« Der Kooperationsmechanismus soll die Einschränkungen, die durch die Souveränitätsrechte in den nationalen Gewässern der Region entstehen, abmildern. Gleichzeitig bewege sich Nigeria und ermögliche bei der Verfolgung verdächtiger Schiffe Zugang zu seinen Hoheitsgewässern. »Was wir brauchen, ist eine Verfeinerung der Einsatzregeln, um nicht-regionalen Schiffen das Überqueren dieser Grenzen zu ermöglichen, und eine verstärkte Zusammenarbeit auf praktischer Ebene, um zu verhindern, dass Piraten der Verfolgung entkommen oder nach der Gefangennahme freigelassen werden, weil sie kein legales Ziel haben«, so Stawpert. Seiner Ansicht nach könnte die Schifffahrt »an der Schwelle stehen«, die Aktivitäten und Ambitionen der Piraten deutlich einzudämmen, dank einer Kombination aus regionalem Engagement, insbesondere von Nigeria, dem Einsatz von internationalen Marineeinheiten und der zunehmenden Anwendung der Best Management Practise (BMP) an Bord von Handelsschiffen. »Am ermutigendsten ist, dass wir nun sehen können, wie all diese © Ministry o Defence Trine Bramsen Verteidigungsministerin von Dänemark Maßnahmen zusammengeführt werden, um sinnvolle und hoffentlich dauerhafte Erfolge gegen die Piratenbanden zu erzielen«, so Stawpert weiter. Allerdings müsse die internationale Zusammenarbeit noch ausgeweitet werden. Dabei setzt die ICS vor allem auf besagtes Rahmenwerk MCF GOG/SHADE GOG. Anders als in vielen Teilen der Politik hält man eine echte militärische Anti-Piraterie- Mission beim Branchendienst Dryad Global für »zunehmend wahrscheinlich« – wenn auch mit Einschränkung: »Ob sie in Form einer mehrstaatlichen Allianz oder einer einzelstaatlichen Intervention zustande kommt, bleibt abzuwarten«, sagt Analyst Archie O‘Devlin. Im Golf von Guinea sei im Gegenteil sogar eine allmähliche Abkehr von direkten Militäraktionen einiger Länder zu beobachten: »Die USA verfolgen mit ihrer jährlichen Übung ›Obangame Express‹ eine eher indirekte Politik des Kapazitätsaufbaus bei den lokalen Seestreitkräften.« Mehr Kooperation unerlässlich Allerdings: Bei anderen führenden Seemächten gebe durchaus die Bereitschaft, sich militärisch an direkten Anti-Piraten- Maßnahmen zu beteiligen. Eine Reihe von europäischen Nationen, darunter Portugal, Italien und Spanien, haben im Rahmen der koordinierten maritimen Präsenz der EU (CMP) Schiffe entsandt. Mehr Kooperation ist seiner Ansicht nach dennoch unerlässlich: »Die Anrainerstaaten des Golfs von Guinea und die internationale Gemeinschaft müssen akzeptieren, dass Piraterie über die auf Landkarten gezogenen Grenzen hinausgeht.« PIRATERIE & CREW »Sehr ernste mentale Nachwirkungen« Seeleute brauchen mehr psychologische Unterstützung, sowohl als Vorbereitung für potenzielle Piraten-Attacken bevor sie an Bord gehen, als auch nach einer Entführung, meint Alexander Dimitrevich, Psychologe beim Dienstleister Mental Health Support Solutions (MHSS). Wie gravierend sind die psychologischen Folgen von Piratenangriffen vor Westafrika auf Seeleute? Dimitrevich: Wenn Reedereien oder Seeleute selbst nicht angemessen auf ihren Zustand achten, kann dies zu Anpassungsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder anderen Arten Alexander Dimitrevich – Clinical Psychologist Coordinator Eastern Europe Mental Health Support Solutions von psychischen Problemen führen. Eine Studie, die wir mit Ocean Beyond Piracy durchgeführt haben, hat ergeben, dass jede vierte Geisel unter ziemlich ernsten Nachwirkungen leidet. © Mental Health Support Solutions Gibt es einen Unterschied zur Situation vor Somalia beziehungsweise im Golf von Aden? Dimitrevich: Bei den westafrikanischen Piraten handelt es sich oft um gut ausgebildete Kämpfer, die tagsüber als private Sicherheitsleute oder sogar als Soldaten arbeiten und nachts Schiffe angreifen. An Bord gehen sie sehr aggressiv vor. Nachdem sie ihre Geiseln in geheime Lager auf kleinen, mit Mangrovenwäldern bewachsenen Inseln irgendwo im Delta gebracht haben, werden die Seeleute relativ gesehen nicht allzu schlecht behandelt. Sie bekommen Essen, Wasser, Medikamente. Am meisten gefährdet sind sie bei einem Rettungsversuch durch bewaffnete Kräfte oder Streitereien zwischen Piraten. Nach der Freilassung müssen sie durch abgelegene Gegenden reisen und fürchten, erneut entführt zu werden. 28 HANSA – International Maritime Journal 07 | 2021
SCHIFFFAHRT | SHIPPING Sein Kollege Casper Goldman sieht zumindest die positive Entwicklung, dass Nigeria bei einem Treffen auf IMO-Ebene zugesagt haben soll, dass seine AWZ den gleichen Status wie die Hohe See genießt, wenn es um die Unterdrückung der Piraterie geht. Aber auch er sieht den Bedarf für deutlich mehr Koordination und den Aufbau entsprechender Strukturen: »Eine solche Struktur muss Fragen wie die Zusammenlegung von maritimen Sicherheitseinheiten und die Durchführung von militärischen Operationen innerhalb der nationalen Gewässer der Golf-Staaten von eindeutig regeln.« Die Regierungen in der Region seien aber derzeit schlicht überfordert, nicht zuletzt auch völlig unabhängig der Piraterie: »Wie der Rest der Welt haben sie mit den Auswirkungen einer globalen Pandemie zu kämpfen, der eine langfristige wirtschaftliche und gesellschaftliche Instabilität gegenübersteht, die von endemischer Korruption auf höchster Ebene überlagert wird.« Kein »failed state« Zwar müsse die politische Piraterie-Bekämpfung zuallererst im eigenen Land beginnen. »Aber die internationale Gemeinschaft muss dennoch eine Rolle spielen, indem sie die lokalen Sicherheitskräfte durch Wissensaustausch und Partnerschaften unterstützt«, so der Dryad-Analyst. Wie man es auch dreht und wendet, es bleiben einige offene Fragen und eine gewisse Skepsis. Das sogenannte »Capacity Building«, von Politikern stets gern als Hilfe zur Selbsthilfe hervorgeholt, ist kein Allheilmittel. Abkommen und Projekte gab es in Westafrika in den letzten Jahren zuhauf. Warum sollte es also ausgerechnet jetzt VDR-Präsident Alfred Hartmann © VDR klappen – in einer Zeit, in der die Staaten durch die Corona-Pandemie mehr als genügend andere Probleme haben? Ein Erfolg der Anti-Piraterie-Politik wird sich ohnehin erst einstellen, wenn die nigerianische Regierung es schafft, ihr eigenes Land zu befrieden. Somalia war und ist ein sogenannter »failed State«, also ein Land ohne Staat, ein Land ohne Regierung und Verwaltung. Nigeria ist das nicht. Dafür sind die vorhandenen Strukturen allerdings nicht gut genug, um es vorsichtig auszudrücken. Das erschwert einen wie auch immer gearteten direkten Eingriff anderer Staaten oder Allianzen. Vertreter aus der somalischen Politik beziehungsweise aus der somalischen Gesellschaft hatten nach langen Verhandlungen um internationale Militär-Hilfe gebeten, Nigeria wird das nicht tun, allein schon aus Prestigegründen. Eine Kopie der Maßnahmen gegen die somalischen Piraten ist keine Option, die Unterschiede sind zu groß: Es gibt nicht die eine zu überwachende Küste, sondern die Gewässer einer Vielzahl von Staaten. Die nigerianische Piraterie ist deutlich komplexer einzuordnen mit einer enormen Verflechtung in andere kriminelle Machenschaften wie Schmuggel, begünstigt durch eine nach wie vor grassierende Korruption. Bekenntnisse und gut gemeinte Programme seien im Golf von Guinea »im Überfluss vorhanden«, sagt auch Dryad-Analyst Goldman. Nun bestehe die entscheidende Herausforderung darin, die mangelhafte Umsetzung in substanzielle Maßnahmen und konkrete Ergebnisse umzuwandeln. An dem Erfolg der zuletzt mit viel Getöse angekündigten Maßnahmen und Gesprächsrunden wird sich nicht nur die nigerianische, sondern auch die internationale Politik messen lassen müssen. Wie viele Seeleute geben ihren Beruf nach einer solchen Erfahrung auf? Dimitrevich: Die Untersuchung, die wir 2015 mit OBP und Partnern durchgeführt haben, ergab, dass etwa 4 % der Überlebenden den Beruf des Seefahrers aufgegeben haben, aber wir müssen berücksichtigen, dass diese Menschen mutig genug waren, offen darüber zu sprechen. Über die Dunkelziffer können wir nur Vermutungen anstellen. Müssen Reedereien mehr tun, um ihre Seeleute zu unterstützen? Dimitrevich: Viele Studien zeigen, dass eine gute Ausbildung und offene Diskussionen über Notfallverfahren dazu beitragen können, den Stress eines Menschen zu verringern. Seeleute fühlen sich sicherer, wenn sie wissen, dass ihr Unternehmen alles tun wird, um ihre Freilassung zu erreichen. Außerdem hat die maritime Industrie »Best Management Practices« eingeführt, die ebenfalls dazu beitragen, dass sich die Besatzungsmitglieder wohler fühlen. Untersuchungen mit Seeleuten zeigen, dass solche traumatischen Ereignisse zu vermindertem sozialen und emotionalen Wohlbefinden und Depressionen führen können. Die maritime Industrie sollte Systeme entwickeln, um die Auswirkungen von traumatischem Stress zu mindern. Die gute Nachricht ist, dass solche Systeme leicht zu entwickeln sind. Es gibt eine große Menge an Literatur aus anderen Bereichen, darüber, wie Stressoren abgemildert werden können. Was können Sie tun, um betroffene Seeleute zu unterstützen? Dimitrevich: Aufbauend auf bewährten Praktiken schlagen wir einen »Vorher-, Während- und Nachher«-Ansatz vor, bei dem die Besatzungsmitglieder eine Schulung zu traumatischem Stress und bewährten Praktiken für die psychische Gesundheit erhalten und gleichzeitig Protokolle für stressige Ereignisse lernen. Forschungsergebnisse aus anderen Bereichen deuten darauf hin, dass ein solches Modell, systematisch eingesetzt, die Widerstandsfähigkeit der Seeleute verbessert. In der »Nach-Phase« führen wir spezielle Interviews durch, um das Ausmaß des Traumas zu beurteilen. Je nach Situation können wir andere Fachleute hinzuziehen oder Therapiesitzungen anbieten. Wir setzen die Betreuung auch nach dem vermeintlichen Ende der Krise fort: Bei einigen Überlebenden können die Nachwirkungen länger andauern als bei anderen. Interview: Michael Meyer HANSA – International Maritime Journal 07 | 2021 29
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