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HANSA 07-2021

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SCHIFFFAHRT | SHIPPING

SCHIFFFAHRT | SHIPPING Keine neue Militär-Allianz gegen Piraten Im Kampf gegen die Piraterie vor Westafrika sollte die Schifffahrt erstmal nicht auf eine internationale Militär-Mission hoffen. Der Fokus liegt derzeit auf anderen Maßnahmen, die ihre Wirksamkeit allerdings erst noch unter Beweis stellen müssen. Von Michael Meyer Es ist mal wieder soweit: Die nigerianische Regierung setzt ein neues Anti- Piraterie-Programm, beziehungsweise ein Programm für maritime Sicherheit, auf – garniert mit vollmundigen Ankündigungen und zur Schau gestellter Zuversicht. Aus der maritimen Industrie und der Politik gibt es mal wieder durchaus positive Reaktionen. Doch was wird aus »Deep Blue«? Es wäre nicht das erste Mal, dass Theorie und Praxis oder Plan und Realität ein deutlich unterschiedliches Bild abgeben. Fakt ist, der Golf von Guinea ist noch immer der weltweit größte Piraterie-Hotspot. Auch wenn es zwischenzeitlich positive Tendenzen gibt, sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass das Problem ausgemerzt ist. Laut dem »International Maritime Bureau« wurden allein in den ersten drei Monaten des Jahres 40 Seeleute entführt, 43 % aller Vorfälle weltweit entfielen auf die Region vor Westafrika. Schon im vergangenen Jahr musste ein trauriger Rekord hingenommen werden: 130 Entführungen. Mehr Gewalt und Entführungen Drei Trends verstetigen sich: Die Überfälle ereignen sich immer öfter in immer größeren Abständen zur Küste, was den Zugriff für Nigerias Sicherheitskräfte erschwert und den Bedarf eines koordinierten Vorgehens mit anderen Golf- Anrainern immer größer macht. Die Angreifer werden immer gewalttätiger und die Zahl der pro Überfall entführten Seeleute nimmt ebenfalls zu. Selbst wenn die nigerianische Regierung um Präsident Buhari mit »Deep Blue« eine Erfolgsgeschichte schreibt, ist das Problem noch lange nicht aus der Welt. Vor allem der grenzüberschreitende Charakter der Piraterie stellt die Behörden vor offenbar unüberwindliche Hürden – zum Leid wesen der Schifffahrt. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die Rufe nach einer »Einmischung« der internationalen Staatengemeinschaft nicht verstummen. Bollwerk »Deep Blue«? Mit dem jetzt offiziell gestarteten Projekt »Deep Blue« glauben sich die nigerianische Regierung und die nationale Schifffahrtsbehörde Nimasa ausreichend aufgestellt, um der Piraterie – und anderer krimineller Machenschaften – in den eigenen Gewässern und der ausschließlichen Wirtschaftszone Herr werden zu können. Profitieren soll davon die ganze Region am Golf von Guinea. Dem Vernehmen nach entsprechen die dafür bereitgestellten 195 Mio. $ etwa einem Zehntel des nationalen Verteidigungsbudgets. Zusammengefasst geht es um den Aufbau einer Sicherheitsinfrastruktur zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Zu den Bestandteilen von »Deep Blue« gehört eine zentrale Kommando- und Kontrollstelle in Lagos, die den 24/7-Einsatz von zwei Spezialschiffen, zwei Flugzeugen, 17 bis zu 50 kn fahrenden Schnellbooten, drei Helikoptern und vier Drohnen sowie 16 gepanzerten Landfahrzeugen überwachen soll. Eine spezielle »Maritime Security Unit« soll aus 600 Personen bestehen. Beteiligt sind das Verkehrs- und das Verteidigungsministerium, Luftwaffe, Marine, Polizei und »andere Sicherheitsbehörden«. Präsident Muhammadu Buhari zeigte sich bei der Verkündung zuversichtlich, »dass diese robuste maritime Sicherheitsarchitektur die Fähigkeit zur Kontrolle des maritimen Bereichs und die Strafverfolgung verbessern wird.« Er sieht darin sogar das Potenzial, zu einem »Maßstab« für die Staaten am Golf von Guinea zu werden, »um weitere innovative Strategien zu entwickeln und die Bemühungen mit dem bestehenden Rahmen abzustimmen.« Der Branchendienst Dryad sieht genau darin einen entscheidenden Punkt: »Echter Erfolg wird sich nur einstellen, wenn die Anwohnerstaaten ein System kollektiver Sicherheitspolitik effektiv umsetzen.« Ansonsten laufe man Gefahr, die Piraterie lediglich in jeweils andere Gewässer zu verschieben. Außerdem, so die Sicherheitsexperten in einer Analyse, sei eine Bekämpfung der großen sozioökonomischen Probleme und der Aufbau einer effektiven Strafverfolgungspolitik an Land unerlässlich, um die Piraterie zu beenden. © Dryad 24 HANSA – International Maritime Journal 07 | 2021

SCHIFFFAHRT | SHIPPING Letztlich bleibt bislang eine entscheidende Frage unbeantwortet: Wie nötig und wahrscheinlich ist eine internationale Militär-Allianz zum Schutz der Schifffahrt? Vor Somalia hatte der Einsatz vieler Marine-Schiffe im verschiedenen Missionen, etwa »Atalanta« der Europäischen Union oder die »Combined Maritime Forces«, bekanntlich durchschlagenden Erfolg. In Kombination mit dem Einsatz privater bewaffneter Sicherheitsteams konnte die Situation im Golf von Aden deutlich entschärft werden. Wenig verwunderlich ist es daher, dass in der jüngeren Vergangenheit auch für den Golf von Guinea ähnliche Maßnahmen gefordert wurden. Sehr komplexe Lage am Golf Es gibt aber ein zentrales Problem, das die Aufnahme einer echten Anti-Piraterie- Mission bisher verzögert hat – die Tatsache, dass der Golf von Guinea eine große Anzahl von Anrainerstaaten mit konkurrierenden Prioritäten und eigenen Hoheitsgewässern hat. Anders als im Indischen Ozean, wo die Anti-Piraten-Mission auch deshalb so erfolgreich war, weil Somalia einen Großteil des Küstengebiets einnahm, ist der Golf von Guinea ein äußerst komplexes Umfeld. Einer der letzten expliziten Vorstöße kam aus Dänemark. Stein des Anstoßes waren mehrere Attacken auf Schiffe der Muhammadu Buhari Präsident von Nigeria © Government of Nigeria dänischen Reedereien Maersk und Torm. Allein Maersk verzeichnete seit 2019 sieben Piraterie-Vorfälle vor Westafrika. »Das Risiko hat ein Ausmaß erreicht, bei dem effektive militärische Kapazitäten eingesetzt werden müssen, um kurzfristig eine adäquate Schadensbegrenzung zu gewährleisten, und bei dem lokale Regierungen und internationale Akteure ihre Bemühungen verstärken müssen, um dem Problem längerfristig durch bestehende und verstärkte Gesetze zu begegnen«, sagt Aslak Ross, Leiter der Maersk-Abteilung Marine Standards gegenüber der HANSA. Mit der Gewissheit, für die Wirtschaft des Landes eine gewichtige Rolle einzunehmen, wandten sich die Unternehmen erfolgreich an die Regierung in Kopenhagen: Verteidigungsministerin Trine Bramsen kündigte an, eine Fregatte in die Region zu schicken. Sie machte jedoch zugleich deutlich, dass Dänemark die Aufgaben keineswegs alleine schultern will. Vielmehr sucht man nach Partnern, um eine schlagkräftige Flotte aufzubauen. Das ist nun einige Monate her. Ihre Meinung hat sich aber nicht grundsätzlich geändert. Dänemark sucht Partner Heute sagt Bramsen: »Als weltweit fünftgrößte maritime Nation haben wir ein offensichtliches Interesse daran, die Situation zu ändern. Deshalb möchte ich versuchen, das Problem zu entschärfen – hoffentlich zusammen mit anderen Nationen – und natürlich im Dialog mit den Ländern in der Region. Dänemark ist in der Lage, etwas zu bewirken, aber nicht in der Lage, das Problem allein zu lösen.« Den Einwand, es handle sich um nigerianische Gewässer für die es eine Souveränität zu akzeptieren gelte, relativiert sie: »In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass Piraten zunehmend Schiffe weiter draußen auf offener See bis zu mehr als 200 sm von der Küste entfernt angreifen. Außerhalb der Hoheitsgewässer ist diese Verantwortung diffuser und des- NIGERIA – KONFLIKTREICHE WURZEL DER PIRATERIE Die Wurzeln der meisten Probleme Nigerias – mit rund 205 Millionen Einwohnern immerhin das bevölkerungsreichste Land Afrikas – liegen in tiefen politischen, sozioökonomischen und kulturellen Spaltungen. Neben drei großen ethnischen Gruppen gibt es nach Angaben des Auswärtigen Amts 250 bis 400 kleinere Bevölkerungsgruppen. Der ehemalige Militär-Machthaber und heutige Präsident Buhari, seit 2015 im Amt, hat zwar wiederholt eine Befriedung des Landes angekündigt. Bislang waren die –echten oder vermeintlichen – Bemühungen aber nicht von sonderlich großem Erfolg gekrönt. Bei den Konflikten spielt neben ethnischen und religiösen Spannungen die Öl- und Gas-Industrie eine große Rolle, beziehungsweise die Verteilung der staatlichen Einnahmen und die Ausbeutung von Natur und Bevölkerung. Für den Staatshaushalt haben die Vorkommen enorme Bedeutung. Entsprechend branden die Konflikte immer wieder auf, wenn die Weltmarktpreise für Öl und Gas sinken. Die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie verschärfen die Lage weiter. Im Norden lähmt religiöser Terrorismus das Land. Im südlichen Nigerdelta, der wirtschaftlichen Lebensader des Landes, hat die organisierte Kriminalität ein starkes Standbein: Unter anderem Schmuggel und damit eng verzahnt die Piraterie liegen bleiern auf der Wirtschaft. Weil die Integration von Milizionären aus Bürgerkriegszeiten trotz Amnestieprogrammen nur bedingt klappt und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die korrupten Behörden und die Macht der internationalen Ölkonzerne groß ist, hat sich eine ausgeprägte kriminelle Industrie gebildet. Die größten Mängel liegen nach wie vor in der Korruption, der Vernachlässigung von bestimmten Bevölkerungsschichten und in der Effizienz der Verwaltung. Nigerias neuer Marinestabschef, Konteradmiral Zubairu Gambo, musste bereits eingestehen, dass einige Mitarbeiter der nigerianischen Marine mit »Drogenhändlern, Banditen, Entführern und Wirtschaftssaboteuren zusammenarbeiten«. Anders als im Kampf gegen somalische Piraten vor einigen Jahren stellt sich die Situation daher etwas komplizierter dar. Außerdem: Im Unterschied zu Somalia handelt es sich bei den westafrikanischen Ländern wie Nigeria, Benin, Togo oder Kamerun nicht um sogenannte »failed states«. Es gibt Regierungen und staatliche Strukturen. Auch wenn diese zu oft mit der eigentlich nötigen Arbeit überfordert sind, handelt es sich um souveräne Staaten. Ein Einsatz von ausländischen Marine-Einheiten wird von den dortigen Regierungen mitunter als Einmischung in innere Angelegenheiten empfunden und daher prinzipiell abgelehnt. HANSA – International Maritime Journal 07 | 2021 25

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