Schifffahrt | Shipping Gastkommentar »Ehrenkodex wird von Reedern und Versicherern nicht mehr eingehalten« Kapt. Hans-Hermann Lückert, Vorsitzender der Bundeslotsenkammer Die zivilrechtliche Haftbarhaltung deutscher Lotsen im Havariefall ist auf ein nicht mehr tragfähiges Maß gestiegen. Haftbarhaltungen von See- und Hafenlotsen hat es nicht gegeben bis zur Novellierung des Seelotsgesetzes 1984. Dies ist bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber seinerzeit (vorausschauend) zum ersten Mal eine Haftungserleichterung für die deutschen Seelotsen eingeführt hat. Seitdem ist die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt worden. Gleichwohl haben die Haftbarhaltungen von Lotsen – erstmals ab dem Jahre 2000 – zugenommen. Die zunächst langsam steigende Tendenz hat sich ab dem Jahre 2012 virulent verstärkt. Die Entwicklung ist im Kontext zu sehen mit der Verpflichtung der Lotsenschaft, jederzeit der Schifffahrt zur Verfügung zu stehen. Der einzelne Lotse, wenn er nach Börtordnung zu besetzen hat, muss jedes Schiff zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei jedem Wetter besetzen. Er ist verpflichtet, jedes Schiff anzunehmen und jeder Schiffsführung unterstützend zur Seite zu stehen. Er kann sich die damit verbundenen Risiken nicht aussuchen. Die Lotsenschaft war stets bereit und in der Lage, die Forderungen zu erfüllen. All das war auch in Ordnung, solange der überkommene Ehrenkodex galt, die in vorderster Linie stehenden Entscheidungsträger (Kapitän und Lotse) im Havariefall nicht für ihre unumgänglichen Augenblicksentscheidungen in Regress zu nehmen. Für Deutschland ist festzustellen, dass dieser Ehrenkodex gegenüber den Lotsen von Reedern und Versicherern nicht mehr eingehalten wird. Jetzt rächt sich der gute Glaube der Urheber des Seelotsgesetzes von 1954. Im zweiten Regierungsentwurf zu dem neuen Gesetz war zunächst vorgesehen, die Haftung der Seelotsen zu beschränken auf DM 50.000. Diese (dem anglo-amerikanischen Lotsenrecht nachgebildete) Regelung ist jedoch wieder gestrichen worden, weil man glaubte, hierauf verzichten zu können im Hinblick auf die in der Schifffahrt bewährten Usancen und Ehrenkodices. Die Entwicklung der Haftbarhaltungen im Verbund mit der jederzeitigen Einsatzbereitschaft bedeutet eine existenzielle Bedrohung der deutschen Lotsenschaft. Haftpflichtversicherungen Gastkommentar »Eine (Rest-)Haftung ist zumutbar« Die Frage nach der Haftung von Lotsen ist vermutlich genau so alt wie das Lotswesen selber. Heute haftet der Lotse gemäß dem Seelotsgesetz nur für solche Schäden, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Dadurch soll einer angemessenen Verteilung des Haftungsrisikos bei einer schadensgeneigten Tätigkeit Rechnung getragen werden, dies bedeutet gleichzeitig aber auch eine gesetzlich verankerte Besserstellung gegenüber anderen gefahrträchtigen Berufen und Freiberuflern. Alexander Geisler, Geschäftsführer Zentralverband Deutscher Schiffsmakler In der Folge hat der Reeder somit stets die Folgen leicht fahrlässiger Schadensverursachung durch den Lotsen zu tragen. Hier könnte man durchaus die Frage stellen, warum das so sein soll, ist doch die Schadensvermeidung der grundlegende Sinn und Zweck der Beratung durch den Lotsen mit seinen speziellen Kenntnissen um die Besonderheiten des jeweiligen Reviers. Der Reeder zahlt schließlich ein – wie das Gesetz ebenfalls formuliert – der Verantwortung des Lotsen angemessenes Lotsgeld. Die im Seelotsgesetz verankerte Regelung mit der Haftungsprivilegierung des Lotsen stellt bereits hohe Hürden für seine Haftbarhaltung auf, für eine weitergehende Privilegierung besteht kein Anlass. Dies würde bedeuten, dass der Lotse in der Praxis nur in absoluten Ausnahmekonstellationen bzw. bei einer absichtlichen Schadensherbeiführung haften würde. Und würde der Lotse überhaupt nicht mehr haften, wäre dies 28 HANSA International Maritime Journal – 154. Jahrgang – 2017 – Nr. 7
Schifffahrt | Shipping können in ausreichender Form nicht vorgehalten werden. Dies hat bereits der deutsche Gesetzgeber 1984 erkannt bei Einführung der ersten Haftungserleichterung (die inzwischen überholt ist). In der Begründung heißt es: »Diese Haftung des Lotsen soll künftig auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden, weil die bei der Lotstätigkeit in Betracht kommenden Werte die Leistungsfähigkeit des einzelnen Lotsen bei weitem übersteigen und auch eine Haftpflichtversicherung zu wirtschaftlich tragbaren Prämien nicht möglich erscheint.« Diese vorausschauende Erwägung hat der Gesetzgeber angestellt zu einem Zeitpunkt, als Haftbarhaltungen deutscher Seelotsen noch nicht vorgekommen waren. Seinerzeit hatte der angesprochene »Ehrenkodex« uneingeschränkte Gültigkeit, die Lotsen nicht für ihre stets risikobelasteten Entscheidungen in die Haftung zu nehmen. Dies hat sich entscheidend in den letzten 15 Jahren verändert. Ein erneutes Handeln des Gesetzgebers ist unerlässlich, wenn die Leistungen der deutschen Lotsenschaft weiterhin vorgehalten werden sollen. Im Ausland ist dies bereits geschehen. Eine von der IMPA im Jahre 2013 in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass Haftbarhaltungen von Lotsen im Ausland nahezu unbekannt sind. Deutschland hat insoweit eine »beklagenswerte« Ausnahme. Ähnliche Verhältnisse sind lediglich in einigen Bundesstaaten der USA beobachtet worden. Der Grund hierfür liegt darin, dass die meisten Schifffahrtsnationen ihre Lotsen haftungsrechtlich besserstellen. Es stellt sich die Frage, wer durch die schärfere Haftung der deutschen Lotsen begünstigt wird. Begünstigter ist jedenfalls nicht der durch eine Schiffshavarie geschädigte Unfallbetroffene. Die See- und Binnenschiffe unterhalten umfassende Schiffsversicherungen sowohl für Kasko als auch für Haftpflichtrisiken. In diese Policen sind stets die Offziere, Mannschaften und die Lotsen eingeschlossen. Verursacht ein Schiff schuldhaft einen Schaden, so nimmt der Geschädigte stets den Eigner (Reeder) des Schiffes in Anspruch. Dieser wird für das Haftpflichtrisiko durch seine Versicherung geschützt. Das gilt uneingeschränkt auch für jeden Lotsen im In- und Ausland. Die Entscheidung der ausländischen Schifffahrtsnationen, ihre Seelotsen besser zu schützen, führt mithin keinesfalls zu einer Verkürzung von Schadensersatzansprüchen Betroffener. Vereinfacht gesagt, dient die weitergehende deutsche Lotsenhaftung ausschließlich den Schiffsversicherern. Sie versuchen, sich bei den Lotsen kostenmäßig zu erholen, sofern es das nationale Recht zulässt. In Deutschland ist dies der Fall. Im schifffahrtstreibenden Ausland ist dies hingegen überwiegend ausgeschlossen. M Foto: Bundeslotsenkammer in Form von signifikant niedrigeren Lotsgeldern zu berücksichtigen, schließlich würde die Verantwortung des Lotsen geringer werden. Nicht nachvollziehbar ist zudem das manches Mal vorgebrachte Argument, es bestehe eine deutliche Diskrepanz zwischen der Höhe des Lotsgeldes sowie dem Haftungsrisiko. Trotz acht Jahren Schifffahrtskrise gehören die Lotsen unzweifelhaft zu den Besserverdienern der maritimen Branche mit einer hohen Jobsicherheit und stabilen Einkünften auf hohem Niveau, insbesondere im Vergleich zu anderen Freiberuflern oder so manchem Kapitän, an dessen Gehalt sich ja die Sollbetriebseinnahme eines Lotsen orientieren soll. Mit Blick auf die Bedeutung der Tätigkeit der Lotsen für die Sicherheit von Crew, Schiff und Ladung sowie der Umwelt, sollen die Lotsen auch gut und angemessen entlohnt werden. Gleichwohl ist ihnen sicherlich aufgrund der guten Einnahmesituation bei der Eindeckung mit einer Versicherungspolice gegen Haftungsrisiken mehr zu zumuten als anderen Berufsgruppen, auch wenn die Prämien aufgrund der jüngsten Unglücke – an denen auch Lotsen beteiligt waren – gestiegen sind. Die Versicherbarkeit des Haftungsrisikos ist nach wie vor gegeben, nur nicht zu den sehr komfortablen Konditionen wie früher. Auch das Argument, in anderen europäischen Ländern würden die Losten ebenfalls nicht haften, verfängt nicht. Soweit dieses der Fall ist, heißt es ja nicht, dass es richtig ist. Zudem ist zu berücksichtigen dass die Organisationsweise der Lotsen und auch das Niveau ihrer Einkünfte in Europa sehr unterschiedlich ist. Auch in anderen Ländern werden die bestehenden Haftungsprivilegien diskutiert, z.B. sehr intensiv in Italien. Eine zumindest europaweit einheitliche Beantwortung dieser wichtigen Frage wäre in jedem Fall wünschenswert. Die Chance, solche Fragen im Zusammenhang mit dem »Port Package 3«-Vorhaben zu diskutieren, wurde leider versäumt. Vielleicht kann dieses in naher Zukunft an anderer Stelle nachgeholt werden. M HANSA International Maritime Journal – 154. Jahrgang – 2017 – Nr. 7 29
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