SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY »Chassis« und Katamaranrümpfe sind beim Wallaby-Boat nicht starr verbunden, sondern über eine Federung, die Wellenbewegungen ausgleicht © Selzer Wie auf Federn zum Arbeitsplatz auf See Das von der Hitzler-Werft in Lauenburg gebaute Offshore-Transferschiff »Impulse« gleicht durch ein Dämpfungssystem Wellenbewegungen aus. Damit kann der Katamaran länger im Einsatz bleiben als herkömmliche und größere Einheiten Der Energiekonzern EnBW und Wallaby Boats haben das mit einem neuartigen Federungssystem ausgestattete Schiff gemeinsam auf den Weg gebracht. Es ermöglicht den Technikern, auch bei hohem Wellengang sicher auf Offshore- Windkraftanlagen zu gelangen. EnBW hat das Schiff für den Einsatz in ihrem Offshore-Windpark »Baltic 2« gekauft, wo es die Mitarbeiter zu ihrem Arbeitsplatz auf See bringen soll. Der Vorstandsvorsitzende von EnBW, Georg Stamatelopoulos, sieht in dem Schiff einen neuen Standard für den Sektor. »Das Transferschiff hilft uns, künftig noch zuverlässiger und günstiger Strom mit Offshore-Windenergie zu produzieren«, sagte er anlässlich der Taufe des Schiffs auf den Namen »Impulse« Mitte April in Kappeln an der Schlei, zu der eigens Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck angereist war. Dieser sprach von einem »Pionierstück deutscher Ingenieurskunst«. Für das Ziel, bis 2030 insgesamt 30 GW an Leistung in deutschen Offshore-Windparks zu produzieren, würden noch mehr Schiffe wie dieses gebraucht. Der Vizekanzler taufte das Schiff im Hafen von Kappeln gemeinsam mit der Taufpatin Döne Ayhan von EnBW. Dabei zerbrach die Sektflasche nicht wie geplant im ersten Versuch an der Vorrichtung – kein gutes Omen nach traditioneller Auffassung. Doch Habeck konnte mit einer Slapstick-Einlage die Situation retten, indem er zunächst mehrmals ebenso kräftig wie erfolglos die Vorrichtung mit der Sektflasche per Hand betätigte und schließlich die immer noch intakte Flasche nahm und auf der Reling zerschlug. So oder so stehen die Vorzeichen für die »Impulse« günstig, denn ein Pionierstück ist die sie tatsächlich. Das Transferschiff ist als Katamaran konstruiert. Die Aufbauten – man kann aus gutem Grund von einem Chassis, wie beim Auto, sprechen – sind nicht starr mit den beiden Rümpfen verbunden, sondern über ein Federungssystem. Das vom australischen Unternehmen Nauti-Craft entwickelte System ermöglicht, dass die zwei Rümpfe des Katamarans unabhängig voneinander die Wellenbewegungen ausgleichen können. Die pneumatische Federungstechnik kommt eigentlich aus der Welt der Offroad-Rennwagen. Vater des Projekts ist Harald Hübner, Partner bei Wallaby Boats und Inhaber des Mehrheitsgesellschafters Offcon. Der Kapitän hatte 2015 in Australien bei Nauti- Craft einen Demonstrator gesehen und die Technik bei einer Testfahrt erlebt. Daraus entstand schließlich das Konzept für die Wallaby-CTVs. Im Mai 2019 wurde mit der Konstruktion begonnen, im Januar 2020 die Wallaby Boats GmbH gegründet. Im März 2020 erfolgte die Kiellegung auf der Hitzler-Werft in Lauenburg. Dazu kamen überwiegend lokale oder nationale Lieferanten wie Hydac mit der niederländischen Tochter Hycom für die Hydraulik, Zoller (Elmshorn) und Noris (Rostock) für die Elektrik und Automation, Thitronik Marine (Kiel) für die Navigation und Funk sowie die Tischlerei Wessels (Haren/Ems) für den Ausbau. »Es war nicht einfach, eine Werft zu finden, die das Prototyp-Risiko trägt, daher wurde ein Kooperationsvertrag mit Hitzler geschlossen«, so Hübner. Neun Jahre habe 40 HANSA – International Maritime Journal 06 | 2024
SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY es von der Idee bis zur Realisierung gebraucht, so der sichtlich gerührte Hübner. Für kleine und mittelständische Unternehmen sei es schwer, eine so lange Reise durchzuhalten. Gemeinsam mit Nauti- Craft, lokalen und öffentlichen Finanzinstituten und privaten Investoren sei es schließlich gelungen. So waren auf der Finanzierungsseite die IB SH, MBG und die Förde Sparkasse beteiligt, außerdem unterstützte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) das Projekt im Rahmen des Förderprogramms »Innovativer Schiffbau«. Mehr Komfort und Verfügbarkeit Schiffe mit Rumpffederungssystem bieten den Vorteil, dass das Personal weniger Lärm, Schiffsbewegungen und Fliehkräften ausgesetzt ist. Dadurch wird das Risiko für Seekrankheit und sonstige gesundheitliche Probleme erheblich reduziert. »70 % der Beschleunigungskräfte werden herausgenommen, das entspricht auch 70 % weniger Seekrankheit. Das Schiff kann außerdem schnellere Kurven fahren, weil es nicht wie ein herkömmliches Schiff nach außen neigt, sondern sich in die Kurve legt«, erklärte Hübner gegenüber der BINNENSCHIFFFAHRT. Die Dämpfung wird über eine digitale Steuerung kontrolliert. Im Transit ist die Federung passiv. Wenn das Schiff an einer Windkraftanlage anlegt, sorgt der aktive »Bow Height Control Mode« dafür, dass der Bug immer in gleicher Höhe gehalten wird. Ein zweiter aktiver Modus ist der »Deck Attitude Control Mode«, der pitch und roll ausgleicht. Der Überstieg von Technikern auf Offshore-Windkraftanlagen wird bis zu einem Wellengang von 2,1 m deutlich sicherer. Insgesamt sinkt durch die innovative Technik das Wetterrisiko, also die Wahrscheinlichkeit, dass das Schiff wegen schlechten Wetters nicht hinausfahren kann. Die »Impulse« ist den Angaben zufolge weltweit der erste Industrie-Katamaran mit einem derartigen System im kommerziellen Einsatz. Angetrieben wird das Schiff durch einen Motor vom Typ Volvo D13 IPS 1050 mit Abgasnachbehandlung. Durch die geringere Seegangsanfälligkeit ist das Schiff sparsamer als bisherige Transferschiffe, auch weil es bei ähnlichem Komfort kleiner ausgelegt sein kann. Zu den innovativen Merkmalen des Schiffes gehört, dass die von der Hydraulik erzeugte Wärmeenergie im Schiffsystem Die Technik für das Dämpfungssystem, das passive und aktive Modi bietet, kommt von Offroad-Fahrzeugen Bundeswirtschaftsminister Habeck legt Hand an genutzt wird, zum Beispiel für die Deck - enteisung im Winter. Mit 18 m – so lang ist der Prototyp – ist das Wallaby-Schiff aber noch nicht ausgereizt. Das Unternehmen aus Kappeln plant schon weitere und auch größere Einheiten, diese sollen auch alternative Antriebe erhalten. So gibt es die Designs Wallaby 10, 12, 18, 20 und 24, die Zahlen beziehen sich jeweils auf die Länge der Schiffe in Metern. Außerdem soll bei weiteren Designs statt einer Wärmerückgewinnung aus der Federung und Dämpfung eine echte Energierückgewinnung umgesetzt werden. Dabei würde die zurückgewonnene Dämpfungsenergie in einer Pufferbatterie zwischengespeichert und kann direkt wieder für den Antrieb genutzt werden, erklärt Hübner. Allein das soll eine Energieeinsparung von 5 bis 10 % bringen. Neben dem Offshore-Einsatz sieht Hübner auch Einsatzmöglichkeiten bei der Grenzsicherung und der Marine. © Wallaby Boats EnBW glaubt an das Konzept Die »Impulse« ist der Prototyp, der die Belastungsfähigkeit des Schiffs beweisen soll. Interesse gebe es bei allen Energiekonzernen an dem Schiffskonzept, sagt Hübner. Allerdings habe sich EnBW bereits ein Vorkaufsrecht für weitere Neubauten gesichert. Michael Splett, Global Head of O&M Wind Offshore bei EnBW, erklärt, was hinter dem Engagement des Energiekonzerns für das neuartige CTV steckt. »Die Windparks Baltic 1 und Baltic 2 sind beides landbasierte Konzepte. Das heißt, für zehn Stunden am Tag sind die Servicetechniker im Windpark, dann geht es zurück an Land«, so Splett. Anstatt also einmal zu einem Wohnschiff oder eine Plattform zu fahren, und dann von dort aus zu arbeiten, fahren die Techniker zweimal täglich mit dem Schiff. Umso komfortabler soll die Überfahrt, umso leichter der Überstieg auf die Windkraftanlage und umso höher die Verfügbarkeit sein. »EnBW betreibt seit 2010 Windparks, wir haben auch schon andere CTV- Designs getestet. Das ist das erste Schiff, bei dem wir gesagt haben: Das chartern wir nicht, das kaufen wir«, so Splett. Jetzt werde man die »Impulse« erst einmal »auf Herz und Nieren« testen, nicht nur in der Ostsee, sondern auch in der Nordsee. »Dann werden wir weitersehen, wir haben auch andere Windparkprojekte im Vereinigten Königreich, wo wir jetzt an den Service-Konzepten arbeiten«, erklärt Splett. In der Nordsee sei meist üblich, dass die Techniker auf SOVs auf See wohnen. Wenn möglich, sei aber das landbasierte Konzept besser, insbesondere, wenn man aus kleinen Häfen mit guter Infrastruktur operiere. »Da können wir kleinere Schiffe einsetzen und müssen keine großen Umwege auf uns nehmen.« fs © Selzer HANSA – International Maritime Journal 06 | 2024 41
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