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HANSA 06-2021

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SCHIFFFAHRT | SHIPPING

SCHIFFFAHRT | SHIPPING Eine Ansteuerung der Levensauer Brücke »auf Sicht« ist auf einem größeren Schiff wegen des eingeschränkten Blickwinkels kaum möglich © Immens Solche ULCC sind daher in erster Linie »technisch« zu fahren. Die beste Hilfe, gerade bei solch besonderen Bedingungen wie am Unfalltag im Suezkanal, bietet auf Schiffen mit einer modernen integrierten Brücke der »predictor«, wodurch der Nautiker neben der Vorauslinie des Kompasskurses die tatsächliche Bewegung des Schiffes über Grund unmittelbar beobachten kann. Es erscheint aber immer noch so, dass viele Schiffsführungen dieses Tool wenig nutzen. Insofern sollten die Reedereien dieser Art von Schiffen überprüfen, ob das bisherige Training der Nautiker im Simulator im Hinblick auf Nutzung der technischen Ressourcen unter besonderen Bedingungen verbessert werden kann. Vorhalten statt Absetzen Wie bereits dargestellt, hätte die erste Annäherung der »Ever Given« an die Nordseite des Fahrwassers bei der Passage von Port Taofik vermutlich durch ein Vorhalten um mindestens 5° nach Steuerbord (entsprechend der Differenz von »Heading« und »CoG« in den Aufzeichnungen) verhindert werden können. Allerdings muss auch jedem Nicht-Nautiker klar sein, dass schon ein solch vermeintlich kleiner Winkel in einem begrenzten Kanal »visuell grausam« ist und nur durch Übung und ein Vertrauen auf die resultierenden Werte des »predictors« erträglich wird. Auch die Lotsen können bei einer Ausrüstung mit einer qualifizierten »Portable Pilot Unit« (PPU) wertvolle Hilfe leisten. Der große Vorteil einer solchen PPU ist, dass diese vor Reiseantritt auf die persönlichen Bedürfnisse des Lotsen eingestellt werden kann, kompakt alle erforder lichen Daten anzeigt, mobil ist und trotz unmittelbarem Datenzugriff via Pilot-Plug autark von den Schiffssystemen arbeitet. Die deutschen Lotsen haben mit diesem System gerade bei »Maximalschiffen« sehr gute Erfahrungen gemacht. Qualifikation des Rudergängers In Situationen wie bei der Passage der »Ever Given« kommt es sehr darauf an, dass am Ruder nicht »einfach nur« ein Seemann steht, der den Kurs halten kann. Ein unerfahrener Rudergänger wird immer dazu neigen, das Ruder beim Erreichen des vom Lotsen/Kapitän georderten Kurses wieder mittschiffs zu legen, setzt dann aber bereits ein »banking effect« ein, kann selbst durch ein nur kurzes Reduzieren der Ruderlage ein erneuter und für den Rudergänger völlig unerwarteter Dreheffekt resultieren. Nach meiner Einschätzung wird von den Reedereien zu wenig Wert auf eine gute Ausbildung der Besatzungsmitglieder gelegt. Auch wir am NOK können beobachten, dass es heute oft unmöglich ist, einem Besatzungsmitglied einfach nur die Order »Kanalmitte steuern« zu geben. Seitdem vor allem kleinere Schiffe mit dem Auto- Piloten nahezu von Pier zu Pier fahren und der Kapitän das Ruder erst mit dem Beginn des eigentlichen Manövrierens selbst übernimmt, geht sogar bei den Offizieren diese uralte seemännische Basisfähigkeit verloren. Eigentlich muss man sich fragen, warum es angesichts der extrem hohen Kosten einer Passage durch den Suezkanal dort keine professionellen Kanalsteurer wie am Nord-Ostsee-Kanal gibt. Der Sicherheitsgewinn ist sicherlich unumstritten. Ein drohendes Absetzen des Schiffes kann somit verhindert werden, bevor die Drehbewegung nicht mehr aufgefangen werden kann. Kritiker werden zwar anmerken, dass es trotzdem im NOK zu folgenschweren Unfällen kommt. Es muss aber auch anerkannt werden, dass dort bis zu 32 m breite Schiffen im alten Kanalprofil auf 44 m Trassenbreite in sehr engen Kurven manövrieren, die »Ever Given« mit 60 m Breite dagegen auf einer 200-m-Trasse. Außerdem gibt es keinen »Einbahnverkehr« wie im Suezkanal und daher kommt es bei den zahllosen Begegnun gen zusätzlich zum »bank effect« noch die »ship-to-shipinteraction«. Vor diesem Hintergrund wird die Einrichtung von Begegnungs - korridoren im Zuge der Fahrrinnenanpassung der Elbe umso verständlicher. Nachholbedarf in der Ausbildung Das Verständnis von Ursache und Wirkung hydrodynamischer Effekte ist demnach essenziell beim Manövrieren sehr großer Schiffe in begrenzten Revieren. Dies sollte auch schon in der nautischen Ausbildung zum Kapitänspatent mehr Berücksichtigung finden. Die IMO hat für ULCC entsprechende »model courses« empfohlen; trotzdem handelt es sich aber um ein nahezu alle Schiffstypen betreffendes Problem. Während der Squat- Effekt meist mit einer drastischen Fahrtreduzierung in den Griff zu bekommen ist, ist das gezielte Auffangen eines einmal einsetzenden »bank effect« ungleich schwieriger. Nach unserer Erfahrung am Kanal ist es durchaus sinnvoll, zunächst kurzzeitig die Propellerdrehung stark zu erhöhen, 36 HANSA – International Maritime Journal 06 | 2021

SCHIFFFAHRT | SHIPPING um die Anströmung des Ruders zu verbessern – daraus darf dann aber keinesfalls eine Erhöhung der Geschwindigkeit resultieren. Ob ein solches stetiges Wechseln der Umdrehungen mit seinem Schiff überhaupt machbar ist, sollte ein Kapitän wissen und muss dafür trainiert werden. Leider ist eine wirklich realitätsnahe Simulation nur an sehr wenigen nautischen Einrichtungen gegeben. Bei der mathematischen Simulation »verzeihen« nach meiner Ansicht die Anlagen meist zu viele Fehler und sind besonders bei den extrem komplexen und sich überlagernden hydrodynamischen Effekten »überfordert«. Besser geeignet scheinen hier Simulationen mit »manned models« zu sein. Reedereien sind gefragt Auch in den Berichten der Experten der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) gibt es in Bezug auf die Bewertung der Hydrodynamik qualitative Unterschiede. So gibt es Untersuchungen, bei denen wegweisende externe (und damit kostspielige) Gutachten veröffentlicht wurden (siehe Bericht 45/04, Kollision zwischen »Cosco Hamburg« und »P&O Nedlloyd Finland«), andererseits aber auch Ergebnisse ohne weitere Expertise, die auf wenig Verständnis bei den Fachleuten vor Ort stießen (siehe Bericht 523/10, Kollision zwischen »National Glory« und »Malaga«). Reedereien sollten bestehende regionale Beschränkungen für die relevanten Reviere intern überprüfen (siehe HANSA 05/2021) und selbst den Kapitän darin bestärken, eine eigene Risikoabschätzung zu treffen. So empfiehlt unter anderem die Reederei Maersk, ab 25 kn Windvorhersage von einer Passage des Suezkanals abzusehen. Eine Regel in den Vorschriften der SCA, Schiffe breitenabhängig für eine Passage zu limitieren, erscheint dagegen wenig praxisnah. Diese Vorgabe dürfte auf der relativ statischen Berechnung der erforderlichen Verkehrsfläche bei einem bestimmten Vorhaltewinkel beruhen. Viel entscheidender ist hingegen die Windangriffsfläche in Kombination mit dem Tiefgang. In hochwertigen Fortbildungskursen an den nautischen Simulationszentren kann den Kapitänen die nötige Kompetenz für die Ressourcen des Schiffes nach der Berechnung der Windangriffsfläche (meist unmittelbar im Ladungsrechner ablesbar) vermittelt werden. Die Weigerung eines Kapitäns, wegen der Wetterlage eine Revierfahrt anzutreten, müsste dann aber auch bei allem kommerziellen Druck respek tiert werden. Ähnliches gilt für die Schlepperannahmepflicht. Schiffe von der Größe der »Ever Given« benötigen einen modernen »Escort-Tugs«, der auch bei der mit 9 kn relativ hohen Normal- Geschwindigkeit noch die erforderliche seitliche Kraft auf das Schiff bringen kann, um ein gefährliches Absetzen zu kompensieren. Wenn der Kapitän, wie oben dargestellt, die Windangriffsfläche mit den daraus resultierenden Kräften berechnet, dann weiß er auch, wie viel Tonnen Pfahlzug ein Schlepper beim »indirect towing« erzeugen können muss. Auch dies lässt sich heute gezielt üben. Eine Schlepperannahmepflicht in den Verordnungen zu definieren, ist aufgrund der vielen verschiedenen Faktoren eher kritisch zu sehen. Es wäre sinnvoller, wenn der Kapitän gemeinsam mit seinem revierkundigen Berater zu der Entschei - dung kommt, ob ein Schlepper zur Assistenz genommen werden sollte oder nicht. Auch hier muss dann aber gelten, dass solche seemännischen Entscheidungen nicht von kaufmännischer Seite in Frage gestellt werden dürften. Die Rolle des Lotsen Ein Inspektor der Firma »Star Cruises« sagte in einem Vortrag sehr richtig: »To hand over a vessel with a value of some billion dollar to a complete unknown person in just some minutes is one of the most challanging situations for a captain!« Es steht hoffentlich außer Frage, dass die Annahme eines beratenden Seelotsen in allen Revieren grundsätzlich einen deutlichen Sicherheitsgewinn und, gerade hier bei uns, die wichtigste Säule des »Verkehrssicherungssystems Deutsche Küste« darstellt. Es wird hoffentlich schnellstmöglich eine Analyse der Vorgänge auf der Brücke der »Ever Given« geben und es wird interessant sein zu erfahren, welche Rolle die ägyptischen Berater und welche die Schiffsführung gespielt haben. Eine Vorabeinschätzung dieses offensichtlich entschei denden Faktors »Mensch« soll hier nicht erfolgen. Möglicherweise aber muss dieser Bereich noch einmal gezielt betrachtet werden. Autor: Kapt. Gerald Immens Vorstand Nautischer Verein zu Kiel Lotse, Consultant Auf hoher See sicher unterwegs ROBA ® -DS — robuste Wellenkupplungen vom DNV GL zertifi ziert www.mayr.com www.mayr.com Ihr zuverlässiger Partner HANSA – International Maritime Journal 06 | 2021 37

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