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HANSA 06-2021

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Die Passage des

Die Passage des Suezkanals bleibt trotz Einbahnstraßen-Regelung eine nautisch anspruchsvolle Aufgabe © SCA Die unterschätzte Gefahr im Kanal Die Havarie des Containerschiffes »Ever Given« schlägt weiter Wellen. Nicht nur, weil die sechstägige Blockade des Suezkanals für schwere Nachwehen in den Häfen sorgt. Der Unfall wirft auch eine Reihe von nautischen Fragen auf und verweist auf grundlegende Risiken Im Nachgang zur Havarie des Containerschiffes »Ever Given« im Suezkanal hatten vor allem die wirtschaftlichen Aspekte für Schlagzeilen gesorgt. Doch nicht nur das: Viele Experten diskutieren seither, was zu dem Unfall geführt haben könnte. Eines dürfte auf der Basis der bisher vorliegenden Daten klar sein: Um einen technischen Fehler wird es sich bei dem Unfall kaum gehandelt haben. Es scheint sich vielmehr um eine Folge hydrodynamischer Effekte zu handeln, die von der Schiffsführung durch nautische Maßnahmen nicht mehr in den Griff zu bekommen waren. Natürlich wird von verschiedenen Stellen wie Suezkanalbehörde SCA, dem Flaggenstaat Panama und Vertretern der Reederei eine intensive Auswertung aller vorliegenden Daten, insbesondere des VDR, erfolgen. Es ist daher etwas gewagt, sich mit vorschnellen Analysen zu Wort zu melden. Doch wenn bereits kurz nach dem Unfall selbst von seriösen Medien unsinnige Berichte verbreitet werden, dass sich die Besatzung eines 400 m langen Containerschiffes die Wartezeit vor der Abfahrt des Konvois durch den Suezkanal damit vertrieben haben soll, »einen Penis in die Karte zu zeichnen«, sollte eine qualifizierte Bewertung durchaus erlaubt sein. Diese basiert auf einer relativ guten Darstellung der Suezkanal-Passage der Manöver vor der Einfahrt in den Suez-Kanal »Ever Given« durch die »Made Smart Group BV«, veröffentlicht unter www. marine-pilots.com. Selbstverständlich gilt, dass am Ende nur das offizielle Untersuchungsergebnis zeigen kann, ob die hier folgenden Mutmaßungen Bestand haben, in keiner Weise soll vorab eine © VesselFinder Schuldzuweisung erfolgen. Bereits dieses oben beschriebene Vertreiben der »Ever Given« ohne Ankern auf der Reede beim Warten auf den Lotsen und vor dem Einreihen in die entsprechende Position des Konvoi ist ein Indiz für die Wirkung des nach einheitlichen Berichten vorherrschenden starken Südwindes von 6-7 Bft (entspricht bis zu 15 m/s bzw. 30 kn). Das Schiff musste immer wieder auf die in der Routenplanung vorgesehene Warteposition zurück manövriert werden; das sich zufällig dabei ergebende Bild ist für jeden Fachmann komplett nachvollziehbar. Es ist auf allen Bildern deutlich zu erkennen, dass die »Ever Given« bis an das Maximum beladen war und eine gewaltige laterale Windangriffsfläche geboten hat. Insofern muss die in der HANSA 05 / 2021 aufgeworfene Infragestellung der SCA-Befahrensvorschriften bezüglich der Breite anstatt des Beladungszustandes eindeutig unterstützt werden. Gleiches gilt für die Frage der Schlepperannahmepflicht; auf beide Punkte wird später noch Bezug genommen. 32 HANSA – International Maritime Journal 06 | 2021

SCHIFFFAHRT | SHIPPING Bank effect Absetzen des Schiffes: Ein Teil des Wassers kann in engem Fahrwasser nicht am Rumpf abfließen, sondern wird am Bug vor dem Schiff hergeschoben. Durch den Überdruck vorn und einen Unterdruck am Heck entsteht eine achtern anziehende Kraft. Dies kann zu einer Grund-/Seitenberührung und/oder geringerer Steuerwirkung führen. Bei der Havarie verkeilte sich das Containerschiff »Ever Given« zwischen den beiden Ufern des Kanals © Maxar Technologies Bereits die Einfahrt der »Ever Given« in das betonnte Fahrwasser vor Port Taofik ist auffällig. Obwohl das Schiff den südlichen Wind auf seinem Kurs von etwa 360° vermutlich genau von achtern hatte, ist die »Ever Given« um 05.00 UTC bereits stark nach Westen versetzt. Angesichts des zu erwartenden zunehmenden Winddrucks bis zum folgenden Kurs von 050° hätten die grünen Tonnen nahezu voraus genommen werden müssen. Die Geschwindigkeit liegt aber noch im Bereich der erlaubten ca. 9 kn. Unmittelbar nach dieser Kursänderung ist aber erkennbar, wie das Schiff vermutlich vom Wind sehr stark nach Norden versetzt wird. Der anliegende Kompasskurs »HDG« weicht durchgehend um etwa 5° vom Kurs über Grund »CoG« ab, das heißt, das Schiff wird ohne irgendein erkennbares »Vorhalten« gegen den Wind stetig weiter nach Backbord versetzt. Im Gegenteil: In der dargestellten ersten, bereits äußerst kritischen Situation beträgt der Kurs 045°, während das Schiff noch immer um 005° versetzt wird. Um 05.20 UTC ist dann an dieser Stelle, also weit vor dem eigentlichen Ort der späteren Havarie, das erste deutliche Absetzen des Schiffes durch den »bank effect« erkennbar. werden muss. Bereits hier ergab sich aus meiner Sicht die Ursache aller weiteren Ereignisse: Denn es ist in der Folge nicht gelungen, die Geschwindigkeit wieder auf einen »kontrollierbaren Bereich« abzusenken. Hier wird es bei der Auswertung des VDR interessant sein zu erfahren, wie und wann die gefährliche Annäherung an die Trassengrenze von der Schiffsführung erkannt wurde und welche Order für die Umdrehungen des Propellers und Ruderlage bzw. Kurs erteilt wurde. Hydrodynamische Effekte Wahrscheinlich heißt es »Eulen nach Athen tragen«, in einer Fachzeitschrift noch einmal auf die hydrodynamischen Effekte nach Bernoulli einzugehen. Trotzdem ist es für mich als Lotse am Kiel-Kanal immer wieder erstaunlich, wie wenig viele Schiffsführungen über diese in bestimmten Gewässern extrem gefährlichen Effekte wirklich wissen. Wir erleben am Kiel-Kanal nicht selten, dass ein »Absetzen« von dem OOW komplett unbemerkt bleibt. Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die Annäherung an ein Ufer in einem »begrenzten Fahrwasser« zu dem in der Grafik dargestellten Effekt führt. Dies nennt man international »bank effect«, bei uns am Nord-Ostsee-Kanal sprechen wir allgemein vom »Absetzen«. Im Prinzip stellt sich dieser Effekt in jedem »kanalisierten« Fahrwasser ein, sobald man die Mitte der Trasse verlässt. Insofern gilt dieses nicht nur für Kanäle, sondern natürlich auch für die begrenzten Trassen in einzelnen Bereichen der ausgebauten deutschen Flussreviere. Die Wirkung und Kontrollierbarkeit des Effektes ist abhängig: • von der Nähe zum Ufer und der Form des Ufers, besonders bei steilen Kanalböschungen, • von der Wassertiefe durch den zusätzlichen »Flachwasser-Effekt« (squat), • von der Geschwindigkeit des Schiffes • und von den Manövriereigenschaften des Schiffes (z.B. mit/ohne Becker- Ruder etc.). Hat der Absetz-Effekt einmal gewisse Grenzen überschritten, ist er nur noch schwer kontrollier- bzw. beherrschbar. Und damit beginnt die Verdammnis der Situation: Eine geringere Geschwindigkeit würde den Effekt unmittelbar verringern, gleichzeitig bedeutet eine Reduzie- Zu hohe Geschwindigkeit? Es dürfte bei der Auswertung des VDR deutlich werden, dass der Rudergänger durchgängig eine starke Backbord- Ruderlage einsetzen muss, um das Schiff auf dem vorgegeben Kurs zu halten. Von der Schiffsführung wurde erkennbar die Fahrt erhöht, vermutlich um die Steuerwirkung durch eine höhere Anströmung des Ruders zu verbessern, obwohl damit eine gravierende Erhöhung der hydrodynamischen Kräfte in Kauf genommen Darstellung des »Absetzens«, auch »bank effect« genannt, in einem begrenzten Fahrwasser © LB Kiel HANSA – International Maritime Journal 06 | 2021 33

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