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HANSA 05-2021

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Port Call Collaboration · Analyse der Suez-Havarie der »Ever Given« · Schleppen & Bergen · Seefracht & Logistik · MPP-Neubauten · Nationale Maritime Konferenz 2021 · Claus-Peter Offen

SCHIFFSTECHNIK | SHIP

SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY Geschafft: Nach sechs Tagen gelang es den Einsatzkräften, die »Ever Given« wieder aus der Böschung zu ziehen © Boskalis © SCA zögert und sicher anspringt. Das ist auch für den sicheren Betrieb der Querstrahleinrichtungen nötig. Auf einem Schiff wie der »Ever Given« sind zwei Bugstrahlruder mit je 2500 kWel. Leistung installiert. Einer der vier Generatoren liefert gemäß Klassifikationsangaben 4600 kWel., was für die elektrische Grundlast sowie für rund 500 Kühlcontainer ausreicht, bis bei ca. 80 % Generatorenlast der nächste Generator auf Schiene gehen würde. Sollte ein Chief einen Generator am Netz laufen haben und die übrigen drei Generatoren würden sich im Betriebsmodus »Hand« im Stillstand befinden, so würde eine plötzliche Anforderung Schlepperballett im Suezkanal »Bugstrahler« zunächst ein manuelles Eingreifen des Chiefs verlangen, wofür in einer brenzligen Situation keine Zeit wäre. Querstrahler können bei Kanalpas - sagen durchaus bis zu Geschwindigkeiten von 5–6 kn hilfreich sein. Des Weiteren: Sollte nach dem Verlassen der Ankerposition, vor Einfahrt in den Kanal, die Querstrahler auf null- Pitch, quasi im Leerlauf, weiter betrieben werden, sich aber nur ein Generator am Netz befinden, weil man nach dem Start der Querstrahler die Generatoren 2, 3 und 4 gestoppt und auf »Hand« gestellt hat, so würde im Falle einer Laststeigerung durch Querstrahlernutzung (Pitcherhöhung) der einzige am Netz laufende Generator die geforderte Leistung nicht erbringen. Die »auf Hand« befindlichen Generatoren würden nicht automatisch ans Netz gehen und es käme zu einem Blackout. Komplexität Diese Sachverhalte und Fragen sollen zeigen, wie komplex sich die Situation an Bord von Schiffen generell, sowie explizitim Fall der »Ever Given«, darstellen kann. Sogenannte »Single-Cause- Failures«, also Unfälle aufgrund von nur einer Ursache, sind meiner Erfahrung nach selten. Soweit ich es in Diskussionen mit Klassifikationsgesellschaften und flaggenstaatlichen Behörden erleben durfte, werden zur Regelerstellung vielfach lediglich Single-Causes und nicht Multiple-Cause-Failures betrachtet. Deshalb sollten die Verantwortlichen Zeit, Mittel und Experten zur Verfügung stellen, um das Problem »Entwicklung einer erhöhten Sicherheit auf Revierfahrten« mit offenem Visier neu anzugehen. In der Tat muss die zu betrachtende Zielgröße »Sicherheit« lauten und nicht, wie bisher, die »Schiffsgröße«. Mit Blick auf die »CSCL Indian Ocean« (19.000 TEU), die bereits im Februar 2016 sechs Tage lang auf einer Sandbank in der Elbe festsaß und man befürchten musste, dass sie dort auseinanderbrechen könnte, stellt sich die Frage, warum seither nichts in diese Richtung unternommen wurde. Teure Havarie Die Unterbrechung der Lieferketten durch die Blockade des Suezkanals könnte den Welthandel pro Tag rund 0,2%-0,4% Wachstum und mehrere Milliarden Dollar kosten, schätzt die Allianz. Demnach werden täglich Waren im Wert von rund 5,1 Mrd. $ in Richtung Westen und im Wert von etwa 4,5 Mrd. $ in Richtung Osten transportiert. Einer anderen Kalkulation zufolge kostet die verzögerte Zustellung der Waren rund 400 Mio. $ pro Stunde. 44 HANSA – International Maritime Journal 05 | 2021

SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY Technische Daten »Ever Given« Schiffstyp Bauwerft Ablieferung Eigner Charterer Shipmanager Flagge Klasse P&I Vermessung Tragfähigkeit Containerkapazität Reefer Länge Breite Tiefgang max. Hauptmaschinen Maschinenleistung Antriebsleistung Geschwindigkeit Besatzung Nur eine ganzheitliche, auf praktischen Ansätzen basierende Untersuchung durch Praktiker und Rechenexperten, wird zu einer Lösung führen. Die Regeln der SCA in ihrer bisherigen Form, erscheinen mir nicht mehr zeitgemäß. Sie nennen wichtige, relevante, zu einer Havarie führende Fehler des komplexen Schiffsbetriebs, nicht. Zudem sollte der teilweise spannungsgeladene, zwischenmenschliche Umgang zwischen Kapitänen und Kanallotsen und Angehörigen der Kanalbehörden verbessert werden. Wer gemeinsam Schiffe sicher durch den Kanal führen möchte, tut das am besten in professioneller Kooperation und mit gegenseitigem Respekt. Daran sollte gemeinsam gearbeitet werden. Potenzial in Reedereien ULCV Imabari (Japan) Sept. 2018 Shoei Kisen Evergreen Marine Bernhard Schulte Panama ABS UK P&I Club 219.019 GT 198.900 tdw 20.124 TEU 1.500 399,9 m 58,8 m 16,0 m MAN B&W 59.300 kW 21.840 kW 22,8 kn 25 Geschäftsführungen von Reedereien und Schiffsmanagern, zumeist kaufmännisch geführt, sind aufgerufen, die gelebten Praktiken an Bord offen zu erfragen und notwendige Änderungen gemeinsam mit den Besatzungen einzuleiten. Des Weiteren sind regelmäßige Trainings im Schiffssimulator, ganz besonders für Bridgemanagement-Teams von großen Containerschiffen, äußerst wichtig, um in Stresssituationen bestmöglich zu agieren. Außerdem wäre ein verbessertes Wohlbefinden der Besatzungen an Bord hilfreich. Besonders eine dauerhafte, verlässliche und mit ausreichendem Datenvolumen bemessene Internetverbindung für Crews sollte zur Regeln werden, damit sie ihre familiären Bindungen aufrecht erhalten können. Wer sich an Bord wohlfühlt, arbeitet konzentrierter und macht weniger Fehler. Die Verantwortung bleibt beim Befahren des Suez- Kanals – und auch aller anderen Kanäle, außer dem Panama-Kanal – bekanntlich beim Kapitän. Insofern sind dies immer lohnende Investitionen in eine nachhaltig gute Reputation des Unternehmens. Das technische Reedereipersonal sollte motiviert werden, sicherheitsbezogen zu denken und zu handeln, um bei Neubauvorhaben und im laufenden Schiffsbetrieb nachhaltige Konzepte und Entscheidungen zu entwickeln. In diesem Zusammenhang verdient der Faktor Sicherheit ebenso viel Aufmerksamkeit wie die Themen Dekarbonisierung und Energieeffizienz. Das auch in Wahrnehmung des gesteigerten Interesses der finanzierenden Banken und Investoren an einer nachhaltigen Schifffahrt. Klassen und Flaggen in der Pflicht Die Klassifikationsgesellschaften sollten ihre Bauvorschriften und Besichtigungsrichtlinien entsprechend der herrschenden Gegebenheiten neu betrachten. Das seit gut 20 Jahren vorherrschende Streben nach vereinheitlichten, abgespeckten Minimallösungen kollidiert mit dem Betrieb der komplexer gewordenen Schiffsanlagen sowie mit dem häufig zitierten »loss of talent« an Bord und an Land – bei Reedereien, Herstellern von Schiffssystemen, Servicefirmen und Werften. Klassifikationsregeln sollten den vorherrschenden Zuständen und Anforderungen in der Schifffahrt entsprechen. Es geht dabei um mehr Sicherheit, die Umwelt und den Schutz menschlichen Lebens. Alle größeren Klassifikationsunternehmen sind seit Jahren an der Entwicklung der großen Containerschiffe detailliert beteiligt und arbeiten eng mit Werften und Reedereien zusammen. Insofern sollten sie auch in der Lage sein, auf entsprechende Risiken frühzeitig hinzuweisen. Inwieweit Klassen Deckungslücken beim Wissen über die operativen Prozesse beim Führen eines Schiffes haben, mag diskutiert werden. Ausreichende Informationen und eine unvoreingenommene Betrachtung möglicher Probleme sind aber essenziell, um die Klassifikationsregeln bestens zu formulieren und aktuell zu halten. Havarie-grosse Am 1. April hat Shoei Kisen als Eigner Havarie-grosse für die havarierte »Ever Given« erklärt und Richards Hogg Lindley Ltd. als Dispacheur bestellt. In einem solchen Fall haften alle am Seetransport beteiligten Parteien für die anfallenden Schäden und Kosten proportional zu den Beitragswerten von Schiff und Ladung. Macht der Reeder sein Pfandrecht geltend, kann die Ware durch einen Cash Deposit oder eine General Average Guarantee einer Transportversicherung ausgelöst werden. Mögliche Kosten aus einer Havarie-grosse sind sowohl durch die Waren- als auch die Seekaskoversicherung gedeckt. Welcher Flaggenstaat beschäftigt noch ausreichend erfahrene Experten, die fortlaufend am »Front end« in die Entwick - lung involviert sind? Viele Aufgaben werden seit Jahren an die Klassifikations - unternehmen ausgelagert, die als »Recognized Organizations« beratend Expertisen erarbeiten, nach denen dann entschieden wird. Daraus resultiert oft eine Diskrepanz zwischen dem vorhandenen Wissen und Festlegungen etwa in den Gre - mien der IMO. Dort entscheidet der Flaggenstaat, nicht die Klasse. Entschieden wird dann schon mal abweichend vom technischen Argument, sei es aus kommerziellen oder politischen Gründen. Abstract: The »Ever Given« case – and what is next? Another large container ship crashed in the Suez Canal, causing billions of damage and chaos in container logistics. Aware of a quickly forgetting public, the author describes a realistic and holistic scenario of what may have happened and what should be reconsidered or improved. CFD studies, including hydraulic and aerodynamic forces, as well as ship and wind speed limits combined with effects on ship sail area, must be linked to the role of tugs. A reversal of the class rules, which leads from minimal solutions back to what is really needed, finds suitable examples. HANSA – International Maritime Journal 05 | 2021 45

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