Schiffstechnik | Ship Technology »Das lässt einen nicht los« Nach 46 Jahren Gewerkschaftsarbeit verabschiedet sich Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste, in den Ruhestand. Im HANSA-Interview spricht das SPD- Mitglied über Erfolge, Misserfolge und den Schiffbau im Wandel der Zeit Gehen Sie mit einem weinenden oder lachenden Auge? Meinhard Geiken: Sowohl als auch. Ich habe mit 16 Jahren bei VW angefangen Gewerkschaftsarbeit zu machen. Das hat sich durch mein ganzes Arbeitsleben gezogen, ich habe an ein paar Bausteinen mitgewirkt. Das macht einen schon stolz und darum ist es ein weinendes Auge. Gleichzeitig ist ein Leben ohne Termine auch nicht schlecht. Darauf freue ich mich. Was würden Sie als Ihren größten Erfolg im maritimen Bereich bezeichnen? Geiken: Zum Einen die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern. Wenn die Kollegen nicht mit uns ständig gekämpft und an die Chance geglaubt hätten, wären die Standorte geschlossen worden und wir hätten die Chance, die wir jetzt für das Land haben, nicht. Ein weiteres Beispiel ist die FSG. Aus der Insolvenz 1986 haben wir die Werft gemeinsam mit der Geschäftsleitung neu positioniert. Wenn man sieht, dass das funktioniert, ist das toll. Was hat am meisten geschmerzt? Geiken: Wir haben es nicht geschafft, die Bundesregierung zu überzeugen, den Überwasserschiffbau als »Schlüsseltechnologie« einzuordnen. Das haben wir uns anders vorgestellt. Eine meiner größten Enttäuschungen war zudem, dass es uns nicht gelungen ist, im Offshore-Bereich Fuß zu fassen. Meine Auffassung ist nach wie vor, dass es richtig gewesen wäre, sich dort stärker zu positionieren mit Spezialschiffbau und Infrastruktur. Das ist nicht passiert. Ich hoffe, dass sich das nicht rächt. Aber es zeigt sich auch, dass es immer wieder neue Märkte gibt, die man bestücken kann. Sie mussten auch harte Entscheidung treffen. Worauf hätten Sie gerne verzichtet? Geiken: Wenn wir Ergänzungstarifverträge gemacht haben. Man wusste, dass sie den Standort sichern, aber trotzdem nicht alle Arbeitsplätze gehalten werden können. Solche Verträge hätte ich am liebsten nicht unterzeichnet. Die Werftlandschaft hat sich während Ihrer Amtszeit stark verändert, Betriebe sind verschwunden, andere gewachsen. Hatte das Auswirkungen auf Ihre Arbeit? Geiken: Auswirkung in der Weise, dass wir auf einmal Konzernverbünde haben. Dort können wir uns organisieren, ehemalige Konkurrenten sind nun Kollegen. Das ist positiv in der Frage der Unternehmensmitbestimmung, das muss ich deutlich sagen. Und wenn neue ausländische Eigner ihre Gesprächspartner sind? Geiken: Das kam auf die Zielsetzung an. Wenn es eine industrielle Zielsetzung gab, neue Produkte zu bauen, konnten das sehr gute Gespräche sein. Finanzinvestoren wollen hingegen Geld rausziehen. Bei Genting [malaysischer Eigner der MV Werften, Anm. der Redaktion] waren wir erst skeptisch, ob das alles funktionieren kann, was die sich vorgestellt haben. Aber: Sie haben alles eingehalten, haben investiert und halten sich an Tarifverträge. Mit denen haben wir kein Problem. Hat sich die Arbeit durch die Konsolidierung der Branche verändert? Geiken: Nachdem wir gemeinsam durch die Wirtschaftskrise 2008/09 gegangen sind, mit Tarifvertragsänderungen und mit der Idee, Entlassungen zu vermeiden, hat sich viel positives entwickelt auf der Arbeitgeberseite. Sie hat gespürt, der Wille für gemeinsame Lösungen ist da. Davor war es konfrontativer. Gab es Situationen, in denen man über die Stränge geschlagen hat? Geiken: Wer schreit, hat verloren. Es Meinhard Geiken – der Werdegang 1957 in Odeborg geboren 72–75 Ausbildung Betriebsschlosser VW, Emden 75–82 Maschinenschlosser VW, Emden 82–85 Hochschule Hamburg: Dipl.–Volkswirt 73–82 ehrenamtliche Tätigkeit IG Metall 85–19 hauptamtliche Tätigkeit IG Metall 85 Schwerpunktsekretär Gelsenkirchen & Flensburg 86–00 Politischer Sekretär, Flensburg 00–11 1. Bevollmächtigter, Flensburg 04–08 Mitglied Beirat 08–10 Mitglied Bezirkskommission »Küste« 10–11 ehrenamtliches Vorstandsmitglied 11–19 Bezirksleiter »Küste« Aufsichtsrat: Siemens Gamesa & Thyssenkrupp Marine Systems macht ja auch keinen Sinn, wir wollen ja Lösungen. Ich hab immer versucht, so zu argumentieren, dass man sich wieder sehen konnte. Das ist mir aber ehrlicherweise nicht immer gelungen. Gehen Sie in nun in den Ruhe- oder Unruhestand? Geiken: Man hört nicht auf, ein politischer Mensch zu sein. Die maritime Wirtschat bleibt immer bei mir. Ich wohne nicht weit von Flensburg, ich werde mir sicher auch mal Zeit für einen der Stapelläufe bei der FSG nehmen. Der Schiffbau ist faszinierend, mit vielen anderen Branchen nicht vergleichbar. Wenn man dafür zuständig war, die Menschen kennt, lässt einen das nicht los. Interview: Michael Meyer © IG Metall 44 HANSA International Maritime Journal 01 | 2020
Schiffstechnik | Ship Technology Die »Henrika Schulte« fungiert als Testschiff © Fraunhofer Bernhard Schulte testet unbemannte Brücke Zu den Visionen für die Schifffahrt gehören autonome Schiffe. Die Reedereigruppe Bernhard Schulte testet jetzt die »unbemannte« Brücke auf einem 5.600-TEU-Schiff Das Fraunhofer CML hat ein Forschungsprojekt initiiert, in dem die sogenannte »wachfreie Brücke« unter dem Namen »B Zero« entwickelt werden soll. »Im Gegensatz zu unbemannten Schiffen befinden sich zwar nautische Offiziere an Bord, jedoch soll B Zero unter bestimmten Bedingungen für bis zu acht Stunden eine komplett unbemannte Brücke ermöglichen, sodass die Offiziere flexible Wachrhythmen realisieren oder anderweitigen Aufgaben nachgehen können«, heißt es. Ermöglicht werden soll B Zero durch den Einsatz von Sensorik, um das Umfeld des Schiffes aufzunehmen, Entscheidungsunterstützungssysteme, um die aufgenommenen Informationen auszuwerten und angemessene Reaktionen einzuleiten, sowie ein Dokumentationssystem, das die wichtigsten Daten aufbereitet und speichert. Funktionieren soll die wachfreie Brücke in freiem Gewässer über einen Zeitraum von zunächst acht Stunden bei moderaten Umweltbedingungen. Vier Bausteine seien für die Umsetzung von B Zero erforderlich, die in den kommenden drei Jahren entwickelt werden sollen: •• AutoLookout: ein Sensorsystem, das Objekte im Umfeld des Schiffes zuverlässig erkennt, identifiziert und beobachtet. •• AutoOOW (OOW steht für Officer On Watch, wachhabender Offizier): ein intelligentes Navigationssystem, welches auch bestimmte Navigationsentscheidungen nach vorgegebenen »Standing Orders« ohne Anwesenheit eines Nautikers auf der Brücke umsetzt. •• Mensch-Maschine-Schnittstelle B Zero-HMI (HMI für Human Machine Interface): Zusammenarbeit und integrierte Prozesse zwischen dem wachfreien nautischen Offizier und dem autonomen System, auch während kritischen Situationen. •• Performance-Standard-Entwürfe: Regeln für eine spätere Implementierung der entwickelten Technologien im industriellen Maßstab. Das System soll von Beginn an unter Realbedingungen getestet werden. Als Testschiff steht dabei die »Henrika Schulte« zur Verfügung, ein 5.600-TEU-Schiff, dass in Charter bei der japanischen Reederei MOL – Allianzpartner von Hapag-Lloyd – unter dem Namen »MOL GLIDE« im Atlantikverkehr fährt. Auf dem Frachter würden »regelmäßig aktuelle Prototypen installiert und getestet«, so die Mitteilung. Parallel dazu werden begleitende Sicherheitsund Human-Factor-Tests im Rahmen der Schiffsführungssimulationsumgebung am Fraunhofer CML durchgeführt. Weitere Partner in dem Konsortium sind Wärtsilä SAM für die Umgebungssensorik des Ausgucks und Hoppe Bordmesstechnik für die Entwicklung der internen Sensorik sowie der Trimmlage. Die automatische Dokumentation der Reisen während der wachfreien Zeit in B Zero erfolgt mit dem elektronischen Logbuch von NautilusLog. Begleitet werden die technischen Entwicklungen vom Bundesinstitut für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das sich mit den Fragestellungen der Validierung und Verifizierung teilautonomer Brückensysteme beschäftigen soll. Die Darstellung der Navigationsinformationen für die Brücke erfolgt durch das Fraunhofer FKIE. Das CML entwickelt die nautische Entscheidungsfindung und koordiniert das Projekt. »Fest steht bereits jetzt: Mit dem Fokus auf die Entwicklung von smarten Technologien und nautischen Assistenzsystemen für die Seeschifffahrt und die Verbesserung der Sicherheit auf See durch den Einsatz von Sensortechnologien und Datenanalysen bieten die im Rahmen von B Zero gewonnenen Erkenntnisse Potenziale für weitere spannende Entwicklungen«, meinen die Partner. Als Rahmen wird explizit das Förderprogramm »Maritime Technologien der nächsten Generation« des Bundeswirtschaftsministeriums genannt. Das Projekt wird vom Bund mit 2,7 Mio. € gefördert.MM HANSA International Maritime Journal 01 | 2020 45
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