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HANSA 01-2017

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Schifffahrt | Shipping

Schifffahrt | Shipping Aufbruch ins Ungewisse Systeme an Bord und an Land werden stärker vernetzt, produzieren Daten und könnten bald autonom Entscheidungen treffen. Letztlich könnte die Rechtslage aber manche Entwicklung verhindern. Von Felix Selzer Die fortschreitende Digitalisierung hat nicht nur Auswirkungen auf die industrielle Produktion, sondern auch auf Transport und Logistik. Aus dem Schlagwort »Industrie 4.0« wird so auch »Maritim 4.0«. Systeme an Bord und an Land werden immer weiter miteinander vernetzt, Sensoren produzieren Daten in großen Mengen. »Wir sehen außerdem den Schritt zur künstlichen Intelligenz vor uns«, sagt Malte Grützmacher, Partner und Fachanwalt für Informationstechnologierecht bei der Kanzlei CMS. Wenn es so weit ist, heißt das, dass Maschinen oder ganze Systeme nicht mehr nur Daten sammeln und auswerten, sondern autonom Entscheidungen treffen. Das internationale Seerecht ist darauf laut Grützmacher nicht vorbereitet, ebenso wenig wie nationale Gesetzgebungen. Doch auch ohne selbstständig entscheidende Systeme wird es kompliziert, meint Jan Wölper, Leiter des CMS- Geschäftsbereichs Maritime Wirtschaft. »Die ›Maritime Industrie 4.0‹ ist schon da«, sagt er. Technisch zumindest. Performance Monitoring von Motoren oder Thrus tern ist Alltag, Transponder senden Echtzeitdaten aus Kühlcontainern, Landzentralen sammeln und analysieren Daten aus dem Schiffsbetrieb, es gibt die ersten Projekte zu selbstfahrenden Schiffen. Während Schiffe ohne Besatzung noch Zukunftsmusik sind, ist die automatisierte Datenerhebung längst Gegenwart. Das wirft Fragen auf wie: Wem gehören die Daten, die von Sensoren an Bord gesammelt werden, etwa an Motoren zum Performance Monitoring oder für Predictive Maintenance? Wer ist deren Urheber – der Hersteller oder der Nutzer? Was passiert beispielsweise im Falle einer Wartung der Maschine durch Dritte? Muss der Hersteller die Daten freigeben? Wer kann lesend oder schreibend auf die Daten zugreifen? Sind die Muster der Datensätze urheberrechtlich geschützt? Wer haftet bei Schäden durch Verlust der Datenverbindung? »Solche Fragen sind in Deutschland noch nicht geklärt, das Recht ist auf diesem Gebiet ein Flickenteppich«, sagt Grützmacher. Zudem gibt es viele gegensätzliche Interessen zu beachten. Teils sind die Daten sensibel oder personenbezogen, für die Gewährleistung muss die Produktsicherheit gegeben sein, Hersteller wollen ihr Know-how schützen. Zurzeit sei es das Beste, sich dieser Themen bewusst zu sein und entsprechende Punkte im Einzelfall vertraglich zu regeln, rät der Experte. Ein guter Tipp für Zulieferer ist laut dem Anwalt der Ansatz »Privacy by Design«. Es empfehle sich, schon im Vorhinein festzulegen, welche Daten ausgelesen werden könnten, sensible Kennzahlen auszuschließen, zu anonymisieren oder Unnötiges zu löschen. Die Nutzer sollten Daten überdies immer nach dem Stand der Technik sichern, da bei Verlust womöglich kein Recht auf Herausgabe durch den Hersteller besteht. Zudem sollte man die Einhaltung der EU-Datenschutzverordnung beachten, sonst drohen hohe Bußgelder. Während sich auf Fragen rund um Datenschutz und –Nutzung noch bestehende Gesetze anwenden lassen oder vertragliche Regelungen weiterhelfen, wird es beim Thema künstliche Intelligenz kniffig. Hier werden Daten von den Maschinen selbst gesammelt, ausgewertet und dienen dann als Basis für autonome Ent- »Es sitzt ein starker Bremser im letzten Wagen, und der heißt Recht« scheidungen. Das kann die Bestellung eines Ersatzteils sein oder eine Kursänderung. »Die Grundlage von Verträgen ist eine Willenserklärung. Hier muss man sich fragen, ob eine Computerentscheidung eine Willensentscheidung sein kann«, meint Grützmacher. Den Computer zum Stellvertreter zu erklären greife nicht, wenn dieser eine eigene Willenserklärung abgebe. Das gelte auch für eine »Botenlösung«, die die Willensentscheidung antizipiere. »Wenn im Falle wirklicher künstlicher Intelligenz ein Algorithmus entscheidet, können wir das Ergebnis nicht vorhersagen«, gibt er zu bedenken. Dann jedoch stellt sich die Frage, wer bei falschen Entscheidungen haftet – der Hersteller oder der Nutzer? 44 HANSA International Maritime Journal – 154. Jahrgang – 2017 – Nr. 1

Schifffahrt | Shipping Für nicht praktikabel halten die Rechtsexperten Ansätze wie die Gefährdungshaftung bei einer vorhersehbaren Gefahr, eine Verpflichtungshaftung im Sinne von »Eltern haften für ihre Kinder« oder eine Halterhaftung wie für Haustierbesitzer. Denn autonom getroffene Entscheidungen seien nicht vorhersehbar. In erster Linie bestehe dabei ein Beweisproblem, so Grützmacher. Es seien dann die Daten zu prüfen, um zu sehen, wie die falsche Entscheidung zustande gekommen sei. Denkbar ist zunächst eine Haftung für vermutetes Verschulden, das auf Grundlage der Beweislastumkehr unterstellt wird. »Spätestens wenn wir wirklich künstliche Intelligenz haben, ist der Zeitpunkt gekommen, nach dem Gesetzgeber zu rufen«, meint Grützmann. Das werde aber ohnehin noch einige Jahre dauern. Für das, was im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung noch alles auf die Schifffahrt zukommt, muss auch Wölpers Meinung nach das gesamte maritime Recht umgeschrieben werden – der schwerwiegendere Faktor neben der technischen Entwicklung. Die Gesetzgebungsprozesse seien langwierig, gerade im internationalen Seerecht. »Fünf Jahre sind in der IT eine Ewigkeit. Bis ein Gesetz verabschiedet ist, hat sich technisch vieles schon wieder überholt«, sagt er. Nach seinen Recherchen gibt es bei der International Maritime Organisation (IMO) bislang keine erkennbaren Fortschritte bei diesem Thema. »Erwarten Sie in absehbarer Zeit keine Änderungen im Seerecht. Man muss hoffen, dass nationale Gerichte das bestehende Recht entsprechend auslegen«, meint er. Die Chancen für weltweite Regelungen für unbemannte Schiffe, für die Reduzierung der vorgeschriebenen Mannschaftsstärke oder die Streichung bestimmter Wachfunktionen und deren Ersetzung durch Maschinen schätzt Wölper erst recht gering ein. Einzelne Staaten wie Japan, die generell eher technologiefreundlich seien, könnten in der Tat schnell Regeln für ihre Hoheitsgewässer finden. Skandinavische Länder wie Norwegen und Finnland seien schon heute Vorreiter, wenn es um die Erprobung unbemannter Schiffe im Küsten- und Regionalbereich gehe. Auf der anderen Seite stünden Staaten wie die Philippinen, die Hunderttausende Seeleute stellen. Sie dürften jetzt und auch in Zukunft nicht das geringste Interesse an autonomen Schiffen haben. Die Motivation auf der anderen Seite ist klar. »Die Unternehmen wollen Lohnkosten sparen, die Crew soll weg«, sagt Wölper. Auch Flaggenstaaten, die der technischen Entwicklung Rechnung trügen, hätten in Zukunft die Nase vorn. Und tatsächlich könnten Aufgaben wie die des Maschinisten von Sensoren und Managementsystemen übernommen werden, Personal könnte in Steuerungszentralen an Land verlagert werden. Auch sei vorstellbar, Schiffe auf hoher See autonom fahren zu lassen und dann eine »coastal crew« einzufliegen, um den nationalen Regeln zu genügen. Die International Convention on Standards of Training, Certification and Watchkeeping for Seafarers (STCW) der IMO sei in diesem Punkt jedoch eindeutig: Eine Verschiebung von Personal an Land sei demnach schlicht nicht zulässig. Vor allem beim Thema Wachdienst werde das »Erwarten Sie in absehbarer Zeit keine Änderungen im Seerecht« ganz deutlich, sagt Wölper: »Da steht, dass der technische Offzier zum unmittelbaren Aufsuchen des Maschinenraums zur Verfügung stehen muss. Wenn er an Land sitzt, kann er das nicht tun.« Ähnliches gelte für die Kollisionsverhütungsregeln (COLREGs), bei denen spätestens bei der Brückenbesetzung Schluss sei. Und dann wären da noch die Versicherungen. »Keine Gesellschaft wird die Nichteinhaltung der STCW oder COLREGs versichern«, macht Wölper klar. Es könne immer ein Gericht geben, das die Automatisierung bestimmter Aufgaben als vorsätzlichen Rechtsverstoß betrachte. Bis auf lokale oder militärische Bereiche werde es daher absehbar keine Änderungen geben. M Abstract: Off into the unknown Systems onboard ships get smarter and more connected, producing an increasing amount of data – and legal questions. Neither international maritime nor (German) national legislation is prepared for this development. Judiciary will have to apply and interpret existing laws and business parties will have to adress liability and data protection issues on a case-by-case basis in their contracts for the moment, law firm CMS says. When artificial intelligence comes into play, it gets even more complicated. In fact, maritime manning and safety legislation might be the biggest hurdle for further development – with little chance for a change. Further information: redaktion@hansa-online.de Quelle: Pixabay/Hapag-Lloyd HANSA International Maritime Journal – 154. Jahrgang – 2017 – Nr. 1 45

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